Fronleichnam 1996: "Wer von diesem Brote isst ..."
Am hohen Fronleichnamsfest versammelte Gottesdienstgemeinde!
Unter freiem Himmel, im Schatten mächtiger Bäume und umgeben von Blumen im Garten der ehrwürdigen Schwestern versammelt, entbiete ich Ihnen einen herzlichen Gruß im Namen des Herrn. - In eurem Namen, im Namen der Konzelebranten unserer eucharistischen Gemeinde grüßen wir daher auch unsere Patienten, Schwestern und Ärzte im angeschlossenen Krankenhaus. Wir wollen alle Sorgen und Anliegen mitnehmen in unsere eucharistischen Gebete.
Es ist uns heute ein besonderes Anliegen "im wunderbaren Sakrament des Altares das Gedächtnis des Leidens und der Auferstehung des Herrn so zu verehren, dass auch uns die Frucht der Erlösung zuteil wird. Denn er ist das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brote isst, wird in Ewigkeit leben".
Mit diesem Hinweis auf den heutigen Festtag wollen wir den Herrn miteinander bitten um seine Barmherzigkeit und seine verzeihende Liebe.
Aus der Rede, wie wir sie jetzt im Evangelium gehört und wie sie Christus in der Synagoge von Kapharnaum am See Tiberia gehalten hat, wiederhole ich den abschließenden Satz: "Wie mich der Vater gesandt hat und ich durch den Vater lebe - so wird jeder, der mich isst (das heißt, der Lebensgemeinschaft mit mir aufnimmt) durch mich leben."
Der Anlass zu dieser Rede über das Himmelsbrot war das kurz zuvor geschehene Brotwunder in der Nähe. Mit den damals übrig gebliebenen Resten hätte man zwölf Brotkörbe füllen können.
In den letzten Jahren ist die Sorge um das tägliche Brot immer mehr in Vergessenheit geraten. Dass Brot aber zu einer Lebensfrage werden kann, ist uns in unserer Zeit wieder etwas bewusst geworden. Ein Blick über die Grenzen unseres Landes, ein Hinhorchen auf den täglichen Nachrichtendienst lässt uns nachdenklich werden. Woher werden wir das Brot nehmen, wenn der Boden verwüstet ist? Der Glaube an den Fortschritt allein hat seine Überzeugungskraft verloren.
Ein Blick in die Welt um uns mit ihrem Egoismus und ihrer Aggression, mit ihrem Hass und ihrer großen Gleichgültigkeit macht uns wohl auch nachdenklich. Die wachsenden Sorgen und Probleme bringen uns wieder zum Bewusstsein, dass der Mensch zum Leben auch das geistige Brot braucht. Ich meine damit jenes Brot, das unsere geistigen und seelischen Kräfte stärkt.
Wir vergessen so leicht, dass wir miteinander unterwegs sind und nur miteinander, nicht gegeneinander im Frieden leben können. Heute braucht es viel Kraft, um den Glauben an den Menschen nicht zu verlieren, wenn vor unseren Toren Hass und Krieg so vieles zerstören und nur ganz langsam ein Ende in Sicht zu kommen scheint.
Wie viel Kraft braucht man, um dort an die Zukunft zu glauben, wo der Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung in wirtschaftlicher und menschlicher Hinsicht nur ganz schleppend, wenn überhaupt voranzukommen scheint? Wie viel Kraft braucht man, um an die allgemeinen Menschenrechte, an die unveräußerlichen Lebensrechte nicht nur für Frauen und Männer, sondern ebenso auch für Kinder zu glauben - angesichts des Zynismus, mit dem gerade in unserer Zeit solche Rechte mit Füßen getreten werden.
Wie viele seelische Kraft aber braucht auch jene Familie, wo der Vater arbeitslos geworden ist, wo an sich berechtigte Sparmaßnahmen Familien mit Kindern neue Lasten auferlegen. Wie viel seelische Kraft ist zudem notwendig, um nach einer zerbrochenen Ehe durchzuhalten und Kindern Heimat zu bieten. Die Berichte über Ehescheidungen und zerbrochene Ehen gehören heute zum Alltag. Wer aber denkt an die Not jener Kinder, deren Eltern sich haben scheiden lassen?
Alle diese großen Sorgen wollen wir am heutigen Tag von Fronleichnam auf dem Weg in unsere eigene Zukunft mitnehmen und mitbedenken.
"Ich bin das Brot des Lebens", so heißt es wiederholt im Johannesevangelium, "wer von diesem Brote isst, der wird leben in Ewigkeit." So wie das Brot als Nahrungsmittel unseren menschlichen Hunger stillt, so will Jesu durch das Sakrament des Brotes den anderen Hunger stillen, der nach dem verlangt, was nicht vergeht, sondern bleibt. Dieses Sakrament als äußeres Zeichen einer unsichtbaren Wirklichkeit hat der Herr der Kirche zu treuen Händen übergeben, damit er nicht nur als eine Gestalt der Geschichte unter uns lebendig ist, sondern dauernd in der Welt der Menschen anwesend, gegenwärtig ist. Die Gemeinschaft mit Christus schenkt uns all das, wonach wir in der Welt des Vergänglichen umsonst suchen.
Wenn wir den eucharistischen Herrn im Glauben in unser Leben aufnehmen, dann gibt er uns göttliche Lebenskraft. Wer den Herrn aufnimmt, der findet damit immer noch einen Weg, wo andere schon längst vor einer Mauer stehen. Wer seine Seele mit dem Wort Gottes nährt, der wird von innen her stark.
Diese Stärke braucht jeder Mensch unserer Tage und er braucht viel Kraft, nicht zuletzt um zu teilen. Immer wieder beschäftigt uns die Frage nach den Arbeitslosen, den Fremden, den Randgruppen der Gesellschaft. Die einen sagen, sie sind auszusondern aus der Gesellschaft, weil sie Schmarotzer sind; andere weisen darauf hin, dass sie dieselbe Würde und dieselben Rechte haben wie wir selber.
Wer in seinem Leben auch nur für kurze Zeit ohne Heimat und ohne Brot gewesen ist, wer in seinem Leben ohne Arbeit war, wer einmal in seinem Leben durch schwere Schicksalsschläge an den Rand gedrängt wurde, der weiß, was solches bedeutet. Dann versteht man auch, dass menschliche Probleme nicht nur mit Verordnungen und Vorschriften geregelt werden können, sondern auch vom Verständnis und der Großherzigkeit der Mitmenschen abhängen, noch mehr aber vom Vertrauen auf Gottes Beistand und Hilfe.
Um das tägliche Brot, das wir zum Leben brauche, beten wir im Vaterunser. Das eucharistische Brot, das uns Leben gibt und das uns der Tod nicht nehmen kann, tragen wir in der Fronleichnamsprozession durch die Straßen als Zeichen unseres Glaubens, als Einladung an alle, diesen Weg zu bedenken, zu suchen und zu gehen.
Wir wollen eines nicht vergessen: Jesus hatte sein Abschiedsmahl vor seinem Sterben im Kreise seiner Freunde, der Apostel, in Verbindung mit dem alten israelitischen Ritus des Pessach-Festes begangen. Dies wurde als eine Erinnerung an den Auszug der Hebräer aus der Sklaverei Ägyptens verstanden.
Der biblische Bericht, eine zweitausendjährige Überlieferung und Geschichte stimmen genau überein: Jesus brach das Brot und reichte es ihnen. Er reichte ihnen den Becher mit Wein mit den Worten, die sagten, dass das Brot nicht nur als Zeichen, sondern in Wahrheit seinen Leib bedeutete; dass der Wein nicht nur Zeichen, sondern in Wahrheit sein Blut sei. Damit gab er den Auftrag: "Tut dies zu meinem Gedächtnis!" - Damit wollte er eine neue Gemeinschaft, einen neuen Bund erstehen lassen, in Verbindung mit seinem Tod und seiner Auferstehung.
Dieser Auftrag Jesu an den kleinen Kreis seiner Apostel wurde zum Mittelpunkt des christlichen Glaubens, der christlichen Gemeinschaft, des Lebens in Gemeinschaft mit Jesus Christus, Gottes Sohn. Sogar die Spaltung der Christen in viele getrennte Kirchen hat diesen zentralen Auftrag im Wesentlichen oder wenigstens als Erinnerung und Zeichen an Jesu Abschiedsmahl und Auftrag mitgenommen.
Wo oder wann immer bei einem eucharistischen Kongress viele Menschen verschiedener Sprachen und aus verschiedenen Rassen und Kulturen sich zu einem großen Gottesdienst versammeln, ahnen wir etwas vom Geheimnis jenes Glaubens, wie es eine zweitausendjährige, morgenländische, abendländische Geschichte und schließlich die Weltgemeinschaft des Glaubens uns bezeugt - die Einheit und Zusammengehörigkeit der Menschen untereinander.
Die Reisen des Papstes mit den großen Gottesdiensten sind immer wieder Anlass zu solchen Überlegungen. Und wenn das Heben des Brotes, das Heben des Kelches sich verbindet mit den Worten: "Tut dies zu meinem Gedächtnis!", dann spüren wir, dass sich hier etwas immer wieder ereignet, was damals in Jerusalem zum ersten Mal beim Abschied Jesu geschah und eine Welt, die immer im Argen liegt, immer neu zusammenhält.