Fronleichnam 1993: "Ich bin das Brot des Lebens"
Die Pfarre Gumpendorf versammelt sich heute wieder im schönen Garten der Barmherzigen Schwestern, inmitten von Blumen, von sommerlicher Wärme und weitaus landenden grünen Bäumen, um den Fronleichnamsgottesdienst in Gottes freier Natur, außerhalb der Kirche, festlich zu begehen. Im Anschluss an den Gottesdienst sind alle eingeladen, an unserer Fronleichnamsprozession teilzunehmen. Wir tragen so das Geheimnis unseres Glaubens durch die Straßen des Bezirkes und unserer Pfarre. Die Fronleichnamsprozession soll ein äußeres Zeichen unserer inneren Gefolgschaft im Glauben sein.
Dabei wollen wir miteinander dem Herrn unsere Anliegen vortragen. Denn wir wissen: "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind" - und ich füge hinzu, unterwegs sind, - "dort bin ich mitten unter ihnen". So lesen wir in der Heiligen Schrift.
Bei unserem Fronleichnamsgottesdienst wollen wir aber auch alle Patienten unseres großen Krankenhauses nebenan mit einschließen. Sie können auf die eine oder andere Art ebenfalls mitfeiern. - Liebe Patienten! Eure Teilnahme an unseren Gottesdienst legt uns alle nahe, eure Anliegen und Sorgen, eure Bitten um Genesung, mit hineinzunehmen in unseren festlichen Gottesdienst und in die anschließende Prozession. Mit euch wollen wir auch die Ärzte und Schwestern mit einschließen, die, wie ihr wisst, mit vorbildlicher Hingabe euch auf euren Krankenlagern betreuen.
Im Evangelium haben wir soeben gehört: "Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brote isst wird in Ewigkeit leben". - In vergangenen Jahren ist die Sorge um das tägliche Brot zunehmend in Vergessenheit geraten. Die Kostbarkeit des Brotes kommt fast niemanden mehr zum Bewusstsein. Doch im Verlaufe der letzten Zeit sind wieder Gewitterwolken aufgezogen; ein Blick über die Grenzen unserer Heimat macht uns nachdenklich, sodass wir nach dem täglichen Brot in neuer Weise wieder fragen gelernt haben. Wenn die Wälder sterben, sterben da nicht auch die Felder? Woher werden wir das Brot nehmen, wenn der Boden verwüstet ist? Der Glaube an den Fortschritt allein hat seine Überzeugungskraft verloren.
Ein Blick in die Welt um uns, mit ihrem Egoismus und ihrer Aggression, mit ihrem Hass und ihrer Gleichgültigkeit, macht uns nachdenklich. Die wachsenden Sorgen und Probleme bringen uns wieder zum Bewusstsein, dass der Mensch zum Leben auch das geistige Brot braucht. Ich meine damit jenes Brot, das unsere Seelen stärkt. Wie viel Kraft, wie viel innere Kraft braucht man, um den Glauben an den Menschen nicht zu verlieren, wenn vor unseren Toren Hass und Krieg alles zerstören und kein Ende in Sicht ist? Wie viel Kraft braucht man, um dort an die Zukunft zu glauben, wo der Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung in wirtschaftlicher und menschlicher Hinsicht fast nicht voranzukommen scheint? Wie viel Kraft braucht man, um an die allgemeinen Menschenrechte, an die unveräußerlichen Lebensrechte zu glauben, am Vorabend der großen Menschenrechtskonferenz, die in diesen Tagen in Wien beginnt, angesichts des Zynismus, mit dem gerade in unserer Zeit solche Rechte mit Füßen getreten werden? - Wie viel seelische Kraft aber brauchen auch jene Familien, in denen der Vater arbeitslos geworden ist? Was für eine seelische Kraft ist notwendig, um nach einer zerbrochenen Ehe durchhalten zu können? Wer weiß um die Not jener Kinder, deren Eltern sich haben scheiden lassen? - Alle diese großen Sorgen wollen wir am heutigen Tage, auf dem Wege in unsere eigene Zukunft, mitnehmen.
"Ich bin das Brot des Lebens", sagt Christus. Wenn wir ihn im Glauben in unser Leben aufnehmen, dann kann er uns göttliche Lebenskraft schenken. Wer ihn aufnimmt, der erkennt einen Weg, wo andere längst schon vor einer Mauer stehen. Wer seine Seele mit dem Worte Gottes nährt, der wird von innen her stark. In den vergangenen Monaten hat das Schicksal der Fremden, der vielen Flüchtlinge, unser ganzes Land bewegt und beschäftigt. Ich möchte auch heute betonen, wie viel Gutes in unserem Lande geschehen ist, wie viel geholfen wurde. Es ist unglaublich, was ein so kleines Land, so sagt uns das Ausland, zustandebringen kann.
Aber das Teilen braucht auch Kraft und die nicht immer leichte Bereitschaft des Herzens. Wenn der Wohlstand unsre Herzen verengt uns selbstsüchtig macht, dann kann die Kraft des Glaubens, in Verbindung mit der Gottes- und Nächstenliebe, eine solche Verengung überwinden. Denn Selbstsucht isoliert, der Glaube verbindet. Dort, wo Glaube und Leben noch in enger Verbindung stehen, schätzt man das Brot als irdische Gabe noch sehr. Ich war immer ergriffen, wenn ich in meiner Jugendzeit erlebte, wie in christlichen Familien der Vater oder die Mutter mit ihrer Hand das Kreuzzeichen auf ein Leib frischen Brotes machten, bevor sie sich anschickten, das erste Stück abzuschneiden.
Auch im Lande und Volke Israels, in jenen Zeiten des einfachen Lebens, schätzte man das Brot sehr. Und hier setzte Jesus an, um seine Frohe Botschaft mitten in das menschliche Leben hineinzustellen. Dieses gewöhnliche Brot hat der Herr genommen, um es zum Sakrament, das heißt, zum äußeren sichtbaren Zeichen seines unsichtbaren Lebens und seiner Herrschaft zu machen. So wie das Brot als Nahrungsmittel den menschlichen Hunger stillt, so wollte Jesus durch das Sakrament des Brotes jenen Hunger stillen, der nach dem verlangt, was nicht vergeht, sondern bleibt. Dieses Sakrament, das heißt, als äußeres Zeichen einer unsichtbaren Wirklichkeit, hat er der Kirche zu treuen Händen übergeben, damit er nicht nur eine Gestalt der Geschichte bleibt, sondern dauernd in der Welt der Menschen gegenwärtig ist.
"Wer von diesem Brote isst, wird leben in Ewigkeit", - so sagte Jesus; - das heißt, inmitten eines, auch im Überfluss vergänglichen Lebens, wies er uns auf eine Welt hin, wo der Tod seine Macht verloren hat. Mit anderen Worten: die Gemeinschaft mit Christus schenkt uns all das, wonach wir in der Welt des Vergänglichen umsonst suchen. Mit dieser Botschaft geht die Kirche heute hinaus, tritt sie mitten in das Leben der Menschen, um allen zu sagen, dass zwar das irdische Brot für den Hunger des Leibes wichtig ist, dass wir aber noch ein anderes Brot brauchen, wenn wir eine Antwort suchen auf die großen Fragen: "Woher komme ich, wohin gehe ich, welchen Sinn hat mein Leben?"
Die Aufgabe des Fronleichnamsfestes ist es, darauf die Antwort zu geben...