Die Realität der Auferstehung Christi
Die Erscheinungen des auferstandenen Herrn waren für die Beteiligten so eindringlich, dass sie sagten: "Wir können unmöglich schweigen von dem, was wir gesehen und gehört haben" (Apg 4,20). Diese Erfahrungen waren so erfüllend, dass sie das ganze Leben jener Menschen gestaltet haben. Sie wussten seit dieser Zeit: Christus hat sich uns gezeigt, Er ist uns nahe, Er hat uns ergriffen, von Ihm müssen wir Zeugnis geben. Wir können nicht schweigen, auch wenn man uns droht und das Reden verbieten will (Apg 4,17).
Der trockene Tatbestand
Die Beschreibung dieser unermesslichen Erfahrung ist schwierig. Denn es ist eine Erfahrung im Geiste Gottes. Solche Erfahrungen kann man nur selber machen, aber nicht einfach weitergeben. Ergriffenheit und innere Sendung, Eindringlichkeit und abgründige Gottesschau kann man nicht durch einige gedruckte Worte wiedergeben. Der beschriebene Tatbestand, den wir in allen Evangelien, an zahlreichen Stellen der Apostelgeschichte, der Paulusbriefe und in der ganzen Heiligen Schrift vorfinden, klingt eher trocken und dürr. Der übereinstimmende Kern der Aussagen lautet etwa folgendermaßen: Am Morgen des dritten Tages nach dem Begräbnis des Herrn Jesus begaben sich Frauen, unter ihnen Maria aus Magdala (Mt 28,1; Joh 20,1), zum Grab. Sie sehen den Stein vom Grab weggeschoben (Joh 20,1; Mk 16,4). Eilends kehren sie um und berichten den Vorfall den Jüngern, die sie antreffen (Joh 20,2; Lk 24,9; Mt 28,8). Auf diese Nachricht hin laufen einige (Lk 24,24) - nach einer besonderen Überlieferung waren es Petrus und Johannes (Joh 20,2-10; Lk 24,12) - zum Grab. Im Gegensatz zu den Frauen betreten sie das Grab und sind verwirrt, weil sie es leer finden. Diese Verwirrung der Jünger löst sich erst, als jener Jesus von Nazareth, den sie begraben hatten, sich ihnen zeigt, als Lebendiger zeigt: Es ist ein "Sehen" und "Hören" des Herrn Jesus, der ihnen "erscheint". Diese Erscheinungen des Herrn verteilen sich auf verhältnismäßig lange Zeit. (Der Rahmen der "40 Tage" ist der alten Überlieferung unbekannt.) Sie ereignen sich in Galiläa (Mk; Mt) und Jerusalem (Joh; Lk; Apg; Mt 28,9).
Die genauere Anzahl und Folge sowie manche Umstände der Erscheinungen sind unsicher, aber die Tatsache und der wesentliche Inhalt sind unbestreitbar. Die Unsicherheit in den Details ist wohl darauf zurückzuführen, dass die spätere Verkündigung in den Gemeinden manches erläutert und verdeutlicht hat. Diese sekundären Züge in den Berichten zeigen sich, wenn man die einzelnen Schriften untereinander und mit anderen biblischen Schriften vergleicht. Bei diesem Vergleich erkennt man die Freiheit der Darstellung (so wird zum Beispiel das Galiläawort Markus 16,7 sehr frei umgeformt in Lukas 24,6f). Manches mag bloß Verdeutlichung sein: Man will ausdrücken, dass die Jünger den Herrn "leibhaft" erfahren haben und dass dieser Jesus identisch ist mit dem gekreuzigten Jesus. Manches mag, wie sich aus dem Vergleich mit anderen biblischen Schriften ergibt, im Stil jener Zeit bloß symbolischer Ausdruck sein (die Deute-Engel am Grab). Manche Erscheinungsberichte (vor allem bei Lukas und Johannes, die für Heidenchristen schreiben) beantworten bereits in der Art und Weise ihrer Gestaltung Fragen der Hörer: z.B. ob Jesus wirklich erschienen sei, oder ob die Jünger nur einen Geist gesehen haben; ob Jesus leibhaftig erschienen sei oder nur als Geistwesen weiter existiere; ob die Jünger leichtgläubig gewesen wären; ob der Leib des Gekreuzigten identisch sei mit dem Leib des Auferstandenen (Wundmale!) usw. Auch manche theologische Unterweisung des verklärten Herrn wird wohl eine Erläuterung der späteren Verkündigung sein: weil man eben erst jetzt, aufgrund dieser erschütternden Erscheinungen, das Wollen Jesu klar erfasst hat und ausdrücken kann.
Die Damaskus-Stunde
Die Erscheinungen des auferweckten Herrn wurden im Geiste Gottes erfahren. Das zeigt sich am deutlichsten in dem persönlichen Bericht (Gal 1,15f), den der Apostel Paulus gegeben hat. Auch er hat eine derartige Erscheinung des Auferstandenen erfahren (Apg 9,1-19; Apg 22; Apg 26). Paulus war vor seiner Bekehrung ein gläubiger Jude, aber ein Feind der Christen. Etwa sechs Jahre nach dem Tode des Herrn brachte eine Erscheinung Christi bei ihm die große Wandlung, von der er selber erzählt: "Als ich so dahinzog und mich Damaskus näherte, da umstrahlte mich plötzlich zur Mittagszeit vom Himmel her ein helles Licht. Ich fiel zu Boden und hörte eine Stimme, die mir zurief: Saulus, Saulus, warum verfolgst du mich? Ich fragte: Wer bist du, Herr? Er antwortete mir: Ich bin Jesus von Nazareth, den du verfolgst. Meine Begleiter sahen zwar das Licht, die Stimme aber, die mit mir redete, hörten sie nicht. Ich fragte weiter: Herr, was soll ich tun? Der Herr erwiderte mir: Steh auf und geh nach Damaskus. Dort wird dir alles gesagt werden, was du tun sollst. Da ich infolge jenes Lichtstrahles nicht sehen konnte, wurde ich von meinen Begleitern an der Hand geführt und gelangte so nach Damaskus. Dort kam ein gewisser Ananias zu mir, ein frommer Gesetzesanhänger, der bei allen dortigen Juden im besten Ruf stand. Er trat vor mich hin und sprach: Bruder Saulus, du sollst wieder sehen können! In demselben Augenblick konnte ich ihn sehen. Er fuhr fort: Der Gott unserer Väter hat dich dazu bestimmt, Seinen Willen zu erkennen, den Gerechten zu schauen und Seine eigene Stimme zu vernehmen. Du sollst vor allen Menschen bezeugen, was du gesehen und gehört hast. Was zögerst du noch? Steh auf, rufe Seinen Namen an, lass dich taufen und von deinen Sünden reinigen" (Apg 22,6-16). Diese Erscheinung Christi hat Paulus bis ins Innerste getroffen. Zitternd und bebend fragte er: "Herr, was willst du, dass ich tue?" (Apg 22,10). Es war eine radikale Erfahrung im Geiste Gottes. Es ist wie bei jeder Gotteserfahrung: Der Mensch weiß sich angerufen, gefordert; er erlebt den "Herrn", das Höchste, die Liebe. Und deswegen die volle Hingabe des eigenen Ich: "Herr, was willst du, dass ich tue?" In dieser Hingabe an den Herrn erlebt er zugleich sein Eins-Werden und Eins-Sein mit diesem Herrn. Später hat Paulus an zahllosen Stellen seiner Briefe diese Erfahrung immer wieder ausgedrückt: "in Christus sein", "in Christus leben", "in Gott leben".
Aus diesem Damaskus-Erlebnis des Paulus erkennen wir, was in den Aposteln und Jüngern innerlich vor sich gegangen ist: Die Erscheinungen des auferstandenen Herrn trafen sie in ihrem Innersten.
Es waren Erfahrungen im Geiste Gottes. Von diesen Erscheinungen sind Ströme von Kraft, von Erkenntnis, von Licht und Gottesbegegnung über zwei Jahrtausende der Menschheit ausgegangen. Unter dem Eindruck dieser Gottes-Begegnungen haben die Apostel ihr Leben riskiert und mutig dreingegeben. Nur von diesen inneren Erfahrungen her können wir begreifen, warum das junge Christentum innerhalb von wenigen Jahrhunderten das ganze römische Weltreich von innen her umgestalten und umformen konnte.
Die Leibhaftigkeit des Auferstandenen
Alle Evangelien wollen deutlich machen, dass jener Herr und Heiland, den die Apostel in den Erscheinungen geschaut haben, der leibhafte Jesus gewesen ist. Die Evangelien drücken das volkstümlich deutlich aus: essen, trinken, betasten. … Aber es ist kein Zweifel, was sie sagen wollen: Es hat uns nicht etwas geträumt, Er war es leibhaftig, leibhaft. Es war ein "Sehen" und "Hören" des Herrn. Diese Leibhaftigkeit des Auferstandenen wird unterstrichen durch das leere Grab, von dem alle vier Evangelien berichten. Der Bericht über das leere Grab ist offenkundig keine Legende: Wäre es nur eine Legende zur Verdeutlichung ihres Auferstehungsglaubens, so hätte diese Legende unzweifelhaft anders aussehen müssen. Denn nach jüdischem Recht waren Frauen nicht zeugnisfähig. Aber gerade im Bericht vom leeren Grab heißt es, dass Frauen das Grab entdeckt haben und den Jüngern die Kunde brachten. Noch aus einem anderen Grund muss das Grab wirklich leer gewesen sein: Die Auferstehungspredigt der Apostel wäre in Jerusalem ja gar nicht möglich gewesen, wenn die Jünger nicht genau gewusst hätten, dass das Grab Jesu wirklich leer war. So aber konnte die Auferstehungspredigt nirgends so erfolgreich beginnen wie gerade in Jerusalem.
Paulus beschreibt im Anschluss an seinen Bericht über den auferstandenen Herrn den "Auferstehungsleib". Es ist kein welthaft-körperlicher Leib, kein wiedererweckter Leichnam, der sein irdisches Leben fortsetzt, sondern ein Leib "in Herrlichkeit, in Kraft, in Unverweslichkeit", erfüllt und erfasst vom Geiste Gottes: "ein geistiger Leib" (1Kor 15,42-44); es ist ein wirklicher Leib, kein Scheinleib; ein Leib von einer Art, die wir uns noch gar nicht vorstellen können. Gerade weil der Herr leibhaftig den Aposteln erschienen ist, sind sie "Zeugen"; denn es war ein "Sehen" und ein "Hören".
Der älteste schriftliche Bericht
Paulus schrieb seinen ersten Brief an die Gemeinde von Korinth etwa im Jahre 57. In diesem Brief zitiert Paulus eine Liste von Auferstehungserscheinungen des Herrn. Von dieser Liste sagt er, dass er sie selber schon "empfangen habe". Da Paulus etwa im Jahre 39 (drei Jahre nach seinem Damaskus-Erlebnis) die Ur-Apostel in Jerusalem aufgesucht hat, wird das von ihm zitierte Traditionsgut etwa aus dieser Zeit stammen: neun Jahre nach dem Tode des Herrn! Diese alte Liste der Auferstehungserscheinungen lautet:
"Vor allem habe ich euch überliefert, was ich selbst empfangen habe: Christus ist der Schrift gemäß für unsere Sünden gestorben. Er wurde begraben und ist der Schrift gemäß am dritten Tage auferstanden. Er ist dem Kephas (Petrus) erschienen, dann den Zwölfen, hierauf über fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch am Leben sind. Einige davon sind entschlafen. Sodann ist Er Jakobus und darauf sämtlichen Aposteln erschienen" (1Kor 15,3-8).
Wäre Christus nicht auferstanden ...
Paulus hat klar ausgedrückt, was es für die Welt bedeuten würde, wenn Christus nicht auferstanden wäre: "Wie können einige von euch behaupten, es gebe keine Auferstehung von den Toten? Gibt es keine Auferstehung der Toten, so ist auch Christus nicht auferstanden, dann ist unsere Predigt hinfällig und hinfällig euer Glaube" (1Kor 15,12‒14). "Wenn aber die Toten nicht auferstehen, so lasst uns essen und trinken, morgen müssen wir ja sterben" (1Kor 15,32). Hier zeigt Paulus die unheimliche und unausweichliche Logik auf, die sich aus einer Leugnung der Christus-Offenbarung ergibt: Ohne die Selbst-Offenbarung des auferstandenen Herrn fehlt den Menschen die Brücke hinüber zu Gott. Dann bliebe der Glaube des Menschen ein tastendes Suchen hinüber zum anderen Ufer Gottes: "Dann ist euer Glaube hinfällig ...", sagt Paulus. Wenn der Mensch nicht mehr zu glauben vermag, dann "lasst uns essen und trinken, morgen müssen wir ja sterben"! Diese Konsequenz ist eine bittere Logik für eine Welt, die nicht mehr weiß um den Vater-Gott, um das Letzte. Was wird aus einer Welt ohne Christus, die nicht mehr um den Vater-Gott weiß, nicht mehr um wirkliche Liebe weiß, um wirkliches Gewissen? Die um keinen Sinn und Grund und Wert mehr weiß...? Wenn es nichts Absolutes und keinen wirklichen Wert mehr gibt, was sollte der Mensch dann noch wert sein? Viele ahnen heute diese tödlichen Konsequenzen.
Schon Paulus ist auf eine Wand voll Zweifel gestoßen, wenn er von der Auferstehung Christi und daher auch von unserer eigenen Auferstehung sprach. Was der Mensch nicht begreifen kann, das will er nicht glauben. Aber diesen Menschen hat schon Paulus gesagt: "Nun könnte einer fragen, wie stehen die Toten auf? Mit was für einem Leib werden sie kommen? Du Tor, was du säst, muss erst absterben, ehe es zum Leben kommt. Und was du säst, ist nicht die Pflanze, die erst werden soll, sondern ein bloßes Samenkorn, etwa Weizen oder sonst etwas. Gott aber gibt ihm eine Gestalt, wie Er will, und zwar jedem Samenkorn seine besondere Gestalt" (1Kor 15,35-38). Paulus will damit sagen: Zwischen dem Menschen jetzt und dem vollendeten "geistigen Menschen", der durch den Geist Gottes zum vollen Leben auferstanden ist, ist ein gewaltiger Unterschied; ein Unterschied wie zwischen dem Samenkorn und dem ausgewachsenen Baum. Wir könnten den Vergleich heute durch einen anderen ergänzen: Die Wunder der Technik und der Naturwissenschaft sollten uns zu denken geben. Wir wissen heute, dass Materie zerstrahlen kann und in Strahlungsenergie verwandelt werden kann. Um diese "Verwandlung" wissen wir und an die glauben wir; aber an die Verwandlung des Menschen, an seine Vollendung im Geiste Gottes sollten wir nicht glauben? Wenn es keine Vollendung und Erfüllung des menschlichen Lebens durch den Geist Gottes gäbe: dann soll mir einer zeigen, woher der Mensch seine Hoffnung nehmen sollte, seine Freude, Verantwortung und Liebe. Wie weit wäre der Mensch dann vom Tier entfernt? Was sollte ihn hindern, zu leben wie dieses Tier?
"Nun aber ist Christus von den Toten auferstanden. Er ist der Erste von den Entschlafenen ... Christus macht den Anfang" (1Kor 15,20.23), sagt Paulus. Die wirkliche Auferstehung Christi ist zugleich die Grundlage unserer eigenen Hoffnung und unseres Glaubens an die eigene Auferstehung. Auch uns wird der Geist Gottes zur Voll-Endung unseres Lebens führen, zur vollen Blüte, zur vollen Entfaltung, zur vollen Ver-Geistigung, zum ewigen Leben.
aus: Franz Kardinal König, Der Aufbruch zum Geist, Styria, 1972, S. 57-65