Zum 50. Todestag von Kardinal Stepinac
Besucher des Stephansdomes zu Wien wundern sich gelegentlich, im nördlichen Eingang der Domkirche eine kleine, unauffällige Marmortafel in lateinischer Sprache vorzufinden, die den Namen des großen kroatischen Kardinals, Kardinal Stepinac, erwähnt. Dieser Hinweis auf Kardinal Stepinac, dessen Todestag sich am 10. Februar wieder jährt, setzt eine geschichtliche Begebenheit voraus, über die ich als ehemaliger Erzbischof von Wien kurz berichte:
Aus Dankbarkeit, dass Franz Kardinal König, Erzbischof von Wien, bei Varazdin in Jugoslawien, als er am Begräbnis seines Amtskollegen Alois Stepinac teilnehmen wollte, an den Iden des Februar (13. Februar) 1960 aus schwerer Lebensgefahr errettet wurde, ließ die Gemeinschaft der Domherren dieses Gotteshauses diese Gedenktafel anbringen.
Im Jahre 1960, im Verlauf des 10. Februar, erreichte mich in Wien als damals jungen Erzbischof die Nachricht vom Tode des aus seiner Kerkerhaft früher entlassenen, aber in seinem Heimatbezirk konfinierten Kardinal Stepinac. Ich ahnte damals wohl, wie sehr er nach der Entlassung aus der Kerkerhaft durch seine seelische Einsamkeit zusätzlich zu seiner Krankheit gelitten hatte.
Ich sagte mir damals: Als Erzbischof von Wien würde ich normalerweise aus zwei Gründen an der Beerdigung bzw. Beisetzung in Zagreb teilnehmen. Einmal deswegen, weil ich ihn als Theologiestudent im Germanikum und an der Gregoriana noch kennengelernt hatte; mit 32 Jahren empfing er dort als Spätberufener die Priesterweihe. Ich war damals am Anfang meiner Studentenzeit am Germanikum und zählte zur Handballmannschaft des Hauses, dessen bester Mann Stepinac aus Kroatien war. Der andere Grund war die geschichtliche Verbundenheit Wiens mit Kroatien aus der Zeit der österreichischen Monarchie vor dem ersten Weltkrieg.
In jenem Jahr 1960 aber war die österreichische Staatsgrenze im Osten und Süden zugleich der Eiserne Vorhang, der die kommunistische Welt vom Westen trennte. Ich war damals überzeugt, dass eine Erlaubnis zur Teilnahme mir aus diesem Grunde nie gegeben werden würde, denn auch nach Jugoslawien war der Eiserne Vorhang für einen Priester nicht zu durchdringen. Ich wollte aber vor meinen Landsleuten und vor der Welt dokumentieren, dass ich diese Reise gerne gemacht hätte, aber die Erlaubnis verweigert worden war. Aus diesem Grunde richtete ich ein offizielles Ansuchen an die jugoslawische Botschaft in Wien um ein Visum, um so eine Ablehnung zu besitzen. Zu meiner großen Überraschung erhielt ich einen Tag später die Nachricht, daß der Erteilung eines Visums für mich nichts im Wege stehe.
So fuhr ich am Abend des 12. Februar nach Graz, in die Nähe der jugoslawischen Grenze, um am Morgen die Reise nach Zagreb fortzusetzen. Auf diesem Weg passierten wir das Städtchen Varazdin. Unmittelbar danach, auf einer kurvigen Waldstrecke, kam unser Wagen ins Schleudern und fuhr einem entgegenkommenden Lastwagen direkt in die Flanke. Mein Fahrer war tot und mein Sekretär und ich bewusstlos. Ich erwachte im Krankenhaus von Varazdin. Die Verletzungen waren schwer und für mich zum Teil lebensgefährlich. Die ärztliche Betreuung des kommunistischen Krankenhauses war bemüht, dem damaligen Stand entsprechend, zu helfen. Ein Glücksfall war es, dass noch geistliche Schwestern dort Dienst machen konnten. In den später einsetzenden Tagen der Rekonvaleszenz stellte ich fest, dass ich mich allein im einem kleinen Krankenzimmer befand mit einem einzigen vis-a-vis - einem Bild von dem damaligen Staatschef Tito im kommunistischen Jugoslawien.
Damals tauchte - soweit ich mich erinnere - zum ersten Mal umrisshaft die Frage auf, was wohl dieser Unfall in meinem Leben zu bedeuten habe. Auf eine mir nicht ganz erklärliche Weise war es der Gedanke, die Idee: der Erzbischof von Wien solle in diesem Unfall ein Zeichen sehen, dass er sich um die Kirche hinter dem Eisernen Vorhang auch kümmern solle. Mit meiner Reise zu Kardinal Mindszenty in die amerikanische Botschaft in Budapest im übernächsten Jahr begann ich meine Kontakte zu den Bischöfen und Katholiken des Ostens.
Damals wurde mir bewusst, dass der Eiserne Vorhang nicht nur eine geografische Grenze ist, sondern auch eine Barriere in den Herzen und in der Psyche der Menschen darstellt. So wurde für mich der Name "Stepinac" zum Auftakt eines neuen Verständnisses - nicht nur des kommunistischen, sondern des östlichen Europas überhaupt. Auf diesem Weg bestärkten mich die Päpste von Johannes XXIII. bis zu Johannes Paul II.
Kardinal Königs Leben – am seidenen Faden ("Die Presse" vom 12. Februar 2010)