"Auferstehung. Von erlebter orthodoxer Spiritualität"
Das ökumenische Bemühen ist ein historischer Prozess, der neben theologischer Einsicht, persönlicher Frömmigkeit und der Bereitschaft zum Dialog auch eine doppelte Sehnsucht voraussetzt: den Wunsch nach Wiederkehr der verlorenen Einheit - zugleich aber auch die Hoffnung auf "versöhnte Verschiedenheit"; auf ein Miteinander, in dem das Anderssein nicht nur ertragen, sondern als Reichtum empfunden wird, mit dem wir Christen den einen Herrn preisen. "Einheit in Verschiedenheit" also, begleitet von gegenseitigem Verstehen und geschwisterlicher Nähe. Voraussetzung dafür ist das Interesse füreinander, das Wissen voneinander, die Vertrautheit miteinander. Wie aber steht es damit? Wie sehr sind wir Katholiken etwa mit der Theologie, dem Denken und dem Leben der Orthodoxie vertraut? Wie weit ist uns bewusst, welche spirituelle Kraft ihrer Theologie und ihren Riten, ihren Traditionen und Erfahrungen entströmt? Wie selbstverständlich ist für uns, dass Europa ohne die Orthodoxie unvollständig bliebe; dass dieser endlich ungeteilte Kontinent nur mit beiden Lungen der Kirchen des Ostens und des Westens atmen kann?
Es erfüllt mich mit Freude, dass dieses Buch über die geistigen und geistlichen Schätze der Orthodoxie von Österreich aus versucht, die Herzen der Interessierten zu erreichen. Mehr als von jedem anderen Land in Europa ist von hier aus die Wiederbegegnung der so lange getrennten Christenheit vorangetrieben worden. Die Hochschätzung für die Traditionen und die Eigenständigkeit des orthodoxen Kirchentums ist in Österreich ein jahrhundertaltes Erbe. Und viele wegweisende Initiativen haben versucht, nicht nur das Wissen, sondern auch die Achtsamkeit im Umgang miteinander zu stärken - allen voran die Stiftung "Pro Oriente".
Metropolit Michael Staikos gehört zweifellos zu den besonders eindrucksvollen und wortgewaltigen Priestergestalten der Orthodoxie und zu den unermüdlich Drängenden auf dem Weg zur Einheit der Christen. Als Metropolit von Austria, Exarch von Ungarn und langjähriger Vorsitzender des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich hat er der Orthodoxie ein hohes Maß an Respekt und Aufmerksamkeit und dem Dialog der christlichen Schwesterkirchen eine neue Intensität und Herzlichkeit geschenkt. Viel von dieser lebensnahen Spiritualität wird aus den hier vorgelegten Gedanken spürbar, denen ich breite Beachtung und ein weit in unsere Gesellschaft hinausreichendes Echo wünsche.
Ich freue mich aber auch über diese Gelegenheit, dem hochgeschätzten Amtsbruder Michael Staikos meine persönliche Verbundenheit und Dankbarkeit ausdrücken zu können. Mehr als eineinhalb Jahrzehnte sind vergangen, seit ich an seiner Seite auf dem Berg Athos die Frömmigkeit und Gottesnähe, aber auch die herzliche Gastfreundschaft des orthodoxen Mönchtums erleben konnte. Seither ist unser ökumenisches Gespräch nicht mehr verstummt - in gemeinsamer Freude über jeden Fortschritt, in Ungeduld über manche Verzögerung, in Trauer über Rückschläge und Interesselosigkeit.
Dass die Einheit der Christen immer drängender wird, ist heute unbestritten. Denn nur vereint werden wir die globale Vernetzung mit unserer Friedensarbeit begleiten können. Und nur miteinander wird es uns gelingen, die Werte des Christentums gegen die zunehmende Indifferenz und Säkularisierung zu verteidigen.
aus: Metropolit Michael Staikos, Auferstehung. Von erlebter orthodoxer Spiritualität, Band 3 der Reihe Ibera transzendent, Wien, 2000.