Weihepredigt 1975: Der Priester - Zeichen und Angebot der Barmherzigkeit Gottes
Zeitnah rund um den 29. Juni, den Festtag der beiden "Apostelfürsten" Petrus und Paulus, finden in den katholischen Diözesen auf der ganzen Welt Priesterweihen statt. Für uns ist dies ein Anlass, an die über dreihundert "geistlichen Söhne" Kardinal Königs zu erinnern, die dieser im Verlauf seiner 29-jährigen Amtszeit als Erzbischof zu Wien geweiht hat. Wie wohl jedem Bischof lagen ihm seine Priester als seine wichtigsten Mitarbeiter vor Ort sehr am Herzen. Er hat durch all die Jahre, auch nach seiner Emeritierung, mit ihnen Kontakt gehalten. Immer hat er besonderes Augenmerk darauf gelegt, möglichst keinen Gedenktag, sei es ein Geburtstag oder ein sonstiges Jubiläum seiner Priester zu vergessen. Heute noch berichten ältere Priester von seinen unerwarteten Telefonanrufen samt Gratulation und Fragen nach dem persönlichen Befinden, die meist freudige Überraschung ausgelöst hatten.
Der Tag der Priesterweihe im Dom zu St. Stephan am oder in der Nähe des Apostelfestes Peter und Paul ist mehr als früher in den Mittelpunkt der Diözesangemeinschaft gerückt. Auch heute stehen im Blickpunkt die Neupriester, vier an der Zahl, die unsere Freude, aber auch unsere Sorge deutlich machen. Diese Sorge darf kein Ausdruck der Resignation oder des Pessimismus sein, sondern eine Mahnung, in der Stimme der Zeit die Stimme Gottes zu hören, laut und vernehmlich. – Vox temporis – vox Dei.
Wenn wir in der Stimme der Zeit, in unserer Zeit, die Stimme Gottes vernehmen wollen, dann müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass sich nichts im Wesen der priesterlichen Berufung geändert hat, wohl aber in der Art und Weise, wie die priesterliche Berufung ausgeübt wird, auch heute. Die Auswahl kann nicht sorglos, sondern muss gerade angesichts des Priestermangels umso sorgfältiger getroffen werden. Ich danke dem Regens des Priesterseminars mit seinen Mitarbeitern, dass er darauf nicht zuletzt besonders Bedacht nimmt. Die Verteilung und der Einsatz der Priester unterliegt einem zeitbedingten Wandel, was manche kleine Gemeinden schmerzlich zu spüren bekommen. Die Mitverantwortung der Laien – aufgrund von Taufe und Firmung – muss noch mehr geweckt werden. Die Pfarrgemeinderäte, die amtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeiter im Laienapostolat müssen in der priesterarmen Zeit überlegen, was sie tun können, um für das Leben unserer Pfarrgemeinden vorzusorgen, für den Ernstfall gerüstet zu sein. Das Laienapostolat muss heute mithelfen bei der Vorbereitung auf Taufe, Erstkommunion und Firmung der Kinder und Jugend. Die Familien müssen von der Unersetzlichkeit priesterlicher Berufung für unseren Glauben, von der geistlichen Bedeutung priesterlichen Einsatzes tiefer überzeugt sein. Denn aus dem lebendigen Glauben unserer Familien und Gemeinden kommen die priesterlichen Berufe. Ihre Quantität und besonders ihre Qualität sind ein Ausdruck und Abbild des Glaubens, der Hoffnung und der christlichen Liebe unserer Familien und Gemeinden.
Die Stimme Gottes, die sich in der Stimme der Zeit zu erkennen gibt, sagt uns aber ebenso deutlich, dass es für priesterliche Berufung keinen Ersatz und kein Ausweichen in Pseudovorstellungen geben kann. Wir müssen heute mehr denn je den Mut haben zu bekennen, dass der Priester im Namen Jesu Christi, ja in seiner Person, Zeichen und Angebot der Barmherzigkeit Gottes auch an unsere Generation ist.
Daher hoffe ich, dass Priester mit mehr Freude und Entschlossenheit junge Menschen auf den priesterlichen Beruf ansprechen. Nicht zuletzt hoffe ich, dass man junge Menschen, die um ihre priesterliche Berufung ringen, nicht mit soziologischen oder funktionalen Überlegungen auf eine falsche Fährte führt.
Die Stunde der Priesterweihe ist mir auch ein Anlass, aller jener dankbar zu gedenken, die in unserer Diözese der Berufung zum Priestertum gefolgt sind, um in unserer Welt die Gegenwart Christi zu erneuern. Wir wollen heute gemeinsam jenen Priestern danken, die so treu ihren Dienst tun, obwohl sie alt und gebeugt sind. Sie fragen nicht, wann die Pension beginnt und wann sie abtreten dürfen. Sie sind einfach da für die vielen Menschen, von denen sie gebraucht werden.
Und gebraucht werden sie alle, die als Priester das Wort Christi, das Anliegen Christi, die Nähe Christi und seines Reiches eindrucksvoll erfahren haben und anderen künden. Denn der Priester ist im Grunde einer, der etwas Ähnliches erfahren hat wie die Apostel: Sie haben den auferstandenen Herrn erfahren als den gegenwärtigen. Das war ein Berührtwerden im Innersten, als sie ihn erkannten als den Lebendigen, der ihnen nahe ist. Die Apostel haben bei dieser Erscheinung des auferstandenen Herrn etwas Ähnliches erlebt wie die alttestamentlichen Propheten bei ihrer Berufungsvision. Aber dieses Erlebnis allein macht noch nicht den Priester, Zum Priester wird einer letztlich dadurch, dass er aufgenommen ist in den Kreis jener, die letzte Verantwortung tragen für das Reich Gottes, für seine Kirche, für das Volk Gottes, Als Nachfolger der Apostel und kraft dieses seines Auftrages weiht, bestellt und sendet der Bischof Priesteramtskandidaten, in Ihre Gemeinden. Und Sie werden diesen Auftrag wie ein unauslöschliches Siegel in Ihre Lebensexistenz hineinprägen lassen, um, die Hand an den Pflug gelegt, alles zu verlassen, ohne ängstlich nach rückwärts zu schauen, was Sie verlassen oder aufgeben. Als gute und getreue Knechte werden Sie versuchen, mit Ihren besten Kräften durch das priesterliche Dienstamt mit dem Herrn als Lehrer und Hirte verbunden zu sein. Sie wissen, wenn sich auch äußere Umstände und mancher Wortgebrauch etwas verändert haben im Laufe der Jahrhunderte, der Sache nach ist die Weitergabe des priesterlichen Dienstamtes immer in gleicher Weise geschehen. So wie uns bereits die Apostelgeschichte berichtet, wo im Kapitel 6 die sieben Männer durch Handauflegung in ihr neues Amt eingeführt werden, so geschieht es auch heute. Im 1. und 2. Timotheus-Brief ist es unbestritten, dass durch Handauflegung die Amtsübertragung und Weihe geschah. So geschieht es auch heute. Die durch Handauflegung und Gebet empfangene Gottesgnade ist die besondere Amtsgnade für das Vorsteheramt. Die Überlieferung in der katholischen Kirche, in allen orthodoxen Kirchen, ist die ununterbrochene und gleichlautende Ausdeutung priesterlicher Weihe und Amtsübertragung seit der urchristlichen Zeit. In mehr oder weniger bruchstückartiger Überlieferung lebt das Verständnis der Handauflegung und Amtsübertragung in vielen getrennten christlichen Kirchen weiter.
Es geht also nicht so sehr um ein richtiges Rollenverständnis des Priesters, sondern um die Annahme dessen, was die Kirche im Wesentlichen immer getan und geglaubt hat. Der sensus fidelium ist nicht ohne Wirken des Heiligen Geistes zu verstehen. Er zeigt nachdrücklich in die gleiche Richtung. Sie, meine lieben Priesteramtskandidaten, dürfen daher – so wie die anwesenden Mitbrüder im Priesteramt – zuversichtlich und froh im Herzen Ihren Weg gehen, so wie ihn die Christenheit immer verstanden hat.
Die Freude sei der Grundton Ihres Lebens als Priester. Vertrauen und Zuversicht sollen alle spüren, die Ihr Wort hören und Ihrem Beispiel folgen.
Gedruckt in: Kathpress Nr. 148, 30. Juni 1975 Beilage 1 und 2.