Ehe und Familie in der Kirche von heute
Die "Kleine Zeitung“ in Graz, an der bekanntlich katholische Journalisten führend tätig sind, hat vor Kurzem an eine Reihe bekannter Persönlichkeiten in Österreich, an Katholiken und Nichtkatholiken, an Gläubige und Nichtgläubige, die Frage gestellt: 1. Was stört Sie an der Kirche; 2. Was erwarten Sie von der Kirche? Auf diese Fragen sind eine Reihe von interessanten Antworten eingetroffen, die von der genannten Tageszeitung zum Teil auch publiziert wurden. Daraus geht hervor, dass heute in Österreich viele Menschen, auch solche, die nicht zum engeren Kirchenvolk gehören, über die Kirche sich ihre Gedanken machen. Unter den veröffentlichten Antworten ist eine durch ihre Kürze, Offenheit und geradezu unösterreichische Direktheit besonders aufgefallen. Auf die Frage, was stört Sie an der Kirche?, lautete die Antwort: Alles. Auf die zweite Frage, was erwarten Sie von der Kirche, hieß die Antwort: Nichts. Dieser Feststellung sind dann in wenigen Sätzen noch einige nicht gerade freundliche Bemerkungen über die Kirche angefügt worden. Ist diese Antwort etwa charakteristisch für die Situation der Kirche in Österreich und für die Einstellung der Bevölkerung zur Kirche? - Gewiss nicht, vor allem nicht in dieser Form. Es ist in Österreich nicht üblich, dass man die Kirche, selbst wenn man ein Skeptiker oder Ungläubiger ist, so grob und massiv angreift. - Und weil man dies nicht tut, weil sich das in unserem Lande nicht gehört, weil man einen gewissen Respekt der Kirche zollt, so hat das manche katholische Österreicher dazu verleitet, bereits den Schein für das Sein, die Fassade für die Wirklichkeit zu halten.
Wenn uns also einer sagt, er erwarte sich von der Kirche nichts und alles an ihr störe ihn, sollen wir da nicht empört oder beleidigt dagegen protestieren? - Ich bin anderer Meinung. Ich glaube, wir sollten diese groben Äußerungen, so absurd das auch klingen mag, aufmerksam festhalten und den dadurch ausgelösten Schock als einen heilsamen Schock auffassen, der uns aus manchen Träumen reißt und eine Einstellung zeigt, die wir als Realität zur Kenntnis nehmen müssen. Es ist eine Tatsache, dass es in Österreich Menschen gibt, die so denken. Es sind wohl nur wenige, die das so unverblümt uns entgegenschleudern, aber es gibt ohne Zweifel nicht wenige, für die die Kirche nicht existiert, ja, die die Kirche ablehnen und die sich nichts von ihr erwarten. Das ist für uns eine bittere Feststellung; sie soll uns bescheiden machen in unseren Ansprüchen und Forderungen an die Gesellschaft und sie soll Anlass sein, dass wir umso anspruchsvoller seien in unseren Forderungen an uns selbst. Das mag manche Illusionen dämpfen, uns aber auf der anderen Seite helfen, die Wirklichkeit in aller Härte stets vor Augen zu halten: Österreich ist nach außen ein katholisches Land, aber die heimliche Entchristlichung hat weite Bezirke erfasst. Dies bloß zu beklagen, hätte wenig Sinn. Es nicht wahrhaben zu wollen, Äußerungen, wie die eingangs zitierte, zu bekämpfen bzw. Menschen, die solche Äußerungen machen, hätte ebenfalls wenig Sinn, weil das an dem Zustand nichts ändert. Auch mit Proklamationen ist nichts getan, sie ändern die Welt nicht. Nur unsere Tat, die der Erkenntnis dieser Situation folgen muss, ist entscheidend. Und diese Tat kann nicht ein Abschließen von der Welt, ein Zurückziehen, sondern ein Sich-öffnen der Welt gegenüber sein, eine Verantwortung und ein Dienst an dieser Welt.
Das Konzil hat diesen Schritt getan. In diesem Öffnen der Welt gegenüber liegt ja die Bedeutung des Konzils, ebenso in der Ausrüstung und in der Vorbereitung der Christen für den Schritt in die Welt. Kann die Kirche Christi sich verschließen, wenn sie Sein Wirken i. e. des Herrn fortsetzen will und Er das Wort und die Offenbarung Gottes ist. Das Konzil hat uns eine solche Kirche vor Augen gestellt. Nicht nur eine, die vor allem um sich selbst und ihr Prestige bemüht ist, sondern eine, die für alle Welt offen ist, die allen ihre Dienste anbietet und das nicht nur in einigen schönen Aussagen und Reden, sondern in eigens dafür geschaffenen Einrichtungen: Ich meine z. B. die drei Sekretariate für die Einheit der Christen, die Nichtchristen, für die Nichtgläubigen und Atheisten. Für diese Weltoffenheit braucht die Kirche dazu eine wachsende Zahl von weltoffenen Gläubigen, Priestern ebenso wie Laien, die wiederum geformt werden, in offenen Familien. Wenn in einer vergangenen bürgerlichen Ära, die oft egoistisch oder ängstlich in sich verschlossenen Familien in manchen Gebieten der Kirche das Gepräge gaben, so wird heute die notwendige Offenheit als menschliche und christliche Haltung kaum anderswoher als aus wahrhaft offenen Familien der Kirche zuwachsen. So nimmt es gar nicht Wunder, dass gerade jene Konzilstexte, die am klarsten und eindringlichsten von der weltoffenen Kirche sprechen, auch mit größtem Nachdruck nach solchen neuen Ehen und Familien rufen.
So nennt die Pastoralkonstitution "Die Kirche in der Welt von heute" unter den "notwendigen und besonders dringenden Problemen dieser Zeit" die Ehe und Familie an erster Stelle und behandelt sie am ausführlichsten. Sie unterstreicht dabei immer wieder die wesenhafte natürliche Offenheit der Familie für die größeren Gemeinschaften: Das Heil der Person sowie der menschlichen und christlichen Gesellschaft ist zuinnerst mit einem Wohlergehen der Ehe- und Familiengemeinschaft verbunden" (Nr. 47); oder: die Ehegüter und Eheziele "sind von größter Bedeutung für das Weiterleben des Menschengeschlechtes ... und für die Würde und Festigkeit, den Frieden und das Wohlergehen der Familie selbst und der ganzen menschlichen Gesellschaft" (Nr. 48). "So ist die Familie ... das Fundament der Gesellschaft. Deswegen müssen alle ... zur Förderung von Ehe und Familie wirksam beitragen" (Nr. 52).
Diese starke Betonung und Voranstellung der Familie durch das Konzil wird jedem einsichtig, wenn er bedenkt, dass in Ehe und Familie jeder Mensch als Kind, also in der aufgeschlossensten und prägsamsten Phase seines Lebens, grundlegend in seinem Menschentum und Christsein geformt oder deformiert, ja bis zu seiner ersten Blüte und Reife entfaltet oder daran gehindert wird; dass darüber hinaus nochmals fast alle Menschen als Erwachsene, nämlich die große Zahl der Eheleute und Eltern, im Aufbau ihrer eigenen Ehe und Familie ganz entscheidend äußerlich und innerlich, menschlich und christlich als Einzelwesen und als Sozialwesen weiter gebildet und womöglich in der Liebe vollendet werden.
Keine Einrichtung auf Erden hat eine horizontal so weite (alle Kinder, alle Eltern, auch die nichtchristlichen) und zugleich eine vertikal so tiefe und intime (an die Wurzeln des Menschseins und der Liebe reichende) Möglichkeit wie die Familie. Und sie dauert für Kinder und Eltern Jahrzehnte, ja das ganze Leben und bedeutet zugleich die soziale Grundschulung für alle anderen Gemeinschaften, die natürlichen wie die übernatürlichen. Zu dieser tiefen Wirkung gehört auch noch die Ausstrahlung in künftige Generationen. Ein chinesischer Weiser umschreibt das treffend mit dem Spruch: "Willst du ein Jahr weiterwirken, dann bestelle einen Garten; willst du 10 Jahre wirksam bleiben, dann setze einen Baum; willst du aber 100 Jahre fortwirken, dann gründe eine Familie!" Deswegen verbündet auch Gott sein Wirken immer wieder mit dem der Familie: In der Schöpfung, in und nach der Sintflut, in der Gründung der Patriarchenfamilie für das alte Bundesvolk, in der Heiligen Familie und in den Hauskirchen der Urkirche; und wenn Christus am deutlichsten über die Sakramente fortwirkt, leistet er über sie wieder einen entscheidenden Mitbau der Ehen und Familien in frohesten und schwierigsten Lebensphasen der Familie: zur Trauung, zur Geburt, zu entscheidender Entwicklungsphase, zur Sünde und Krankheit, zum Sterben und für jeden Sonntag. Das Dekret über das Laienapostolat urgiert an vielen Stellen die Öffnung der Familie für ihr grundlegendes Laienapostolat: "Das Apostolat der Gatten und der Familien ist von einzigartiger Bedeutung für die Kirche und auch für die bürgerliche Gesellschaft" (Nr. 11). - In den Familien gibt es eine hervorragende Schulung und Übung des Laienapostolates, so sagt die Kirchenkonstitution in Nr. 35. Im Dekret über Priestererziehung und Ordensleben wird auf die Familie als erstes Priesterseminar hingewiesen: "Den wichtigsten Beitrag dazu leisten die Familien; durchdrungen vom Geist des Glaubens, der Liebe und der Frömmigkeit werden sie gleichsam ein erstes Seminar ..." (Nr. 2).
In den verschiedenen Dokumenten spricht das Konzil also immer wieder von der Bedeutung der Familie für die Entfaltung der menschlichen Existenz, als Basis der menschlichen Gesellschaft und als Urzelle der Kirche. Es wäre eine dankenswerte Aufgabe, alle Aussagen der Konzilstexte über Ehe und Familie zu sammeln, sie zueinander in Beziehung zu setzen und daraus sozusagen eine Konzilslehre über Ehe und Familie zu entwickeln.
Bevor ich aber jetzt im Einzelnen über die Erneuerungskräfte der Familie im menschlichen, sozialen und kirchlichen Bereich spreche und die daraus zu ziehenden Nutzanwendungen zu skizzieren versuche, gestatten Sie mir noch einige Worte über die konkrete Situation der Familie in der Gegenwart. Die so oft totgesagte Familie lebt. Sie lebt heute stärker und in vielen Fällen gesünder als früher. Sie lebt anders als vor einigen Generationen, anders als wir es uns vielfach vorgestellt haben. Aber sie lebt. Die Familie hat gerade in den Zusammenbrüchen der letzten Jahrzehnte eine Widerstandskraft, ja eine Regenerationskraft bewiesen, die alle pessimistischen Prognosen über die Familie Lügen straft. Zerbrochen sind manche äußere Erscheinungsformen des Familienlebens, aufgelöst haben sich manche gewiss wertvolle und liebgewordene Vorstellungen von der Familie. Die Familie selbst aber hat alle Stürme überdauert, ja sie hat die Kräfte zu ihrer Erneuerung gefunden.
Wo liegen nun die Erneuerungskräfte der Familie? Zuerst einmal im menschlichen Bereich. Die Großfamilie von einst wurde abgelöst von der Familie im Kleinen. Der Sippenverband, in dem noch vor zwei Generationen auch die europäische Familie weitgehend lebte, - nicht nur auf dem Lande, sondern auch in der Stadt -, hat sich aufgelöst. Man lebt heute nicht mehr mit Eltern, Großeltern, Urgroßeltern, Tanten und Onkeln zusammen, die jungen Leute wollen heute auch unter großen finanziellen Opfern ihre eigene kleine Wohnung haben. Das schafft natürlich viele Probleme. Aber wir sollten auch hier nicht nur das Verschwinden alter, liebgewordener Vorstellungen und gewiss auch wertvoller Einrichtungen beklagen, sondern wir sollten auch das Positive der neuen Situation sehen. Mit der Großfamilie ist gewiss manche schützende Obhut weggefallen, manche Geborgenheit hat sich aufgelöst; gleichzeitig wurde aber damit der Keim manchen Zwistes, der die ersten Ehejahre überschattete, beseitigt. Die beiden Eheleute sind heute stärker als früher auch auf sich selbst angewiesen. Der Charakter der Ehe als menschliche, als leibliche und seelische Gemeinschaft zweier Menschen ist dadurch stärker betont worden.
Die Menschen wollen heute in erster Linie für sich selbst da sein. Die überall zu beobachtende Erscheinung, dass die Vermassung der Gesellschaft begleitet ist von einer Abkapselung der einzelnen und der kleinen Gruppe, zeigt sich auch hier. Wir sollen das nicht beklagen, ohne in anderer Hinsicht den Ansatzpunkt zu einer Neugestaltung des Familienkernes zu sehen. Stärker als früher ist heute wieder der Wille zur Ehe. Gestorben ist die bürgerliche Konventionsehe. Ihr sollten wir keine Träne nachweinen, sie war nicht selten verlogen und moralisch faul. Durch den Wegfall des Besitzes bei großen Teilen des Volkes ist auch die Rücksichtnahme auf diesen Besitz bei der Eheschließung weggefallen. Man heiratet heute kaum mehr Aktienpakete, Familiennamen, Traditionen, Grund und Boden, auch kaum mehr auf dem Lande. Heute heiratet man stärker als je zuvor aus Liebe. Und man heiratet heute früh. Sie wissen alle um die Problematik der frühen Ehen.
Hier helfend einzugreifen ist unsere Aufgabe. Unsere Klagen im Allgemeinen werden diese frühen Ehen, diese Ehen junger Menschen nicht verhindern. Aber können wir sagen, dass die Zustände früher etwa gesünder waren, als nicht nur wirtschaftliche Verhältnisse, sondern auch gesellschaftliche Vorstellungen den Mann erst nach dem 30., oft erst nach dem 35. Lebensjahr heiraten ließen, bis er, wie man sagte, seine Erfahrungen gesammelt habe. Waren diese "Erfahrungen" moralischer? Die allein im menschlichen Bereich und nicht in der gesellschaftlichen Konvention wurzelnde enge Verbindung der Ehepartner ist eine der Erneuerungskräfte der Familie. Die Kleinfamilie - im Gegensatz zur Großfamilie - ich möchte betonen, dass Kleinfamilie nicht gleichzusetzen ist mit kinderarmer Familie - braucht natürlich die soziale Unterstützung der Gemeinschaft; sie bedarf einer finanziellen Unterstützung zur Haushaltsgründung. Die jungen Eheleute sind heute bereit, auch schwere finanzielle Lasten auf sich zu nehmen, um sich eine eigene Wohnung zu schaffen, die jenes Mindestmaß an Komfort aufweist, der nur im Hinblick auf die Zimmer-Küche-Wohnungen in den Zinskasernen ihrer Eltern und Großeltern als Komfort bezeichnet werden kann. Aber diese finanziellen Belastungen müssen im Rahmen des Möglichen bleiben und das ist heute vielfach nicht der Fall. Zu den Hilfen, die die Gesellschaft leisten kann, gehört auch die Regelung etwa der Frauenarbeit, etwa in einer solchen Art und Weise, dass der Frau genügend Kraft und Zeit bleibt für die Familie. Es nützt wenig, die Tatsache der Frauenarbeit zu beklagen. Sie wissen, dass Österreich in der Frauenarbeit an der Spitze der europäischen Länder steht. Auf der Arbeit der Frau beruht zum Teil der bescheidene Wohlstand vieler Familien, beruht auch in den meisten Fällen das finanzielle Wagnis seiner Haushaltsgründung. Die Frauenarbeit ist ja nicht bloß eine Erscheinung unserer Zeit. Die Frau nur als Hausfrau, Gattin und Mutter war das Ideal einer spätbürgerlichen Epoche. Die Proletarierfrau, soweit es die noch gibt, die Bauersfrau, die Frau des Gewerbetreibenden ist heute immer auch noch die Mitarbeiterin des Mannes und Arbeiterin wie der Mann. Wir dürfen die Arbeit der Frau aber nicht allein nur vom wirtschaftlichen Standpunkt aus sehen. Das Recht auf Arbeit in einer menschenwürdigen, familienwürdigen und familiengerechten Form ist auch ein Ausdruck des Selbstbewusstseins der Frau. Auch hier haben sich gesellschaftliche Wandlungen vollzogen, die wir auch in Bezug auf die Familie nicht nur negativ sehen können. Die patriarchalische Familie ist im Schwinden, die partnerschaftliche Familie ist im Werden. In ihr nimmt die Frau eine wesentlich andere, eine wesentlich aktivere Rolle ein als früher. Auch aus dieser neuen gesellschaftlichen Stellung der Frau vermag die Familie Erneuerungskräfte zu ziehen.
Wir haben bisher in erster Linie von der Ehe gesprochen. Das Kind aber macht erst die Ehe zur Familie. Auch hier hat sich ein Wandel vollzogen. Bei den jungen Ehen unserer Zeit - ich spreche hier bewusst nicht nur von den katholischen Ehen - ist der Wille zum Kind vorhanden.
Während es noch vor zwei bis drei Generationen, gerade im städtischen Bereich viele Ehen gab, in denen nicht nur aus wirtschaftlicher Notlage, sondern auch aus einer sich modern dünkenden Einstellung, aus einem Kultur- und Weltpessimismus einerseits - und aus einem Egoismus andererseits das Kind abgelehnt wurde, gibt es eine solche prinzipielle Ablehnung heute kaum mehr. Die jungen Eheleute wollen heute Kinder haben. Der Ton liegt hier auf dem Wollen. Sie nehmen Kinder nicht hin als ein Fatum, als ein Schicksal, als eine unvermeidliche und oft unerwünschte Begleiterscheinung, sondern als eine bewusste und gewollte Schaffung neuen Lebens. Der Wille zum Kind, nach christlicher Auffassung die Grundvoraussetzung der Ehe, wenngleich nicht ihr alleiniger Zweck, scheint also heute stärker gegeben zu sein als früher. Aber der Wille zum Kind verlangt auch, dass die Kinder in einem geordneten Heim aufwachsen und in der rechten Weise erzogen werden. Das hat auch in katholischen Familien zu einer Begrenzung der Kinderzahl geführt aufgrund von ethisch und sittlich gerechtfertigten Methoden.
Wie sieht es nun in der Familie im katholischen Bereich aus? Auch hier können der Familie Erneuerungskräfte zuströmen, wenn wir uns auf die gegebene Situation einstellen. Wir haben Ehevorbereitungskurse, wir haben den Katholischen Familienverband, wir haben die Katholische Aktion mit ihren Gliederungen, wir haben in Österreich Religionsunterricht praktisch für alle getauften Kinder. Aber setzen wir das alles auch richtig ein? Sind unsere organisatorischen und institutionellen Formen den Erfordernissen der Jetztzeit angepasst oder müssen wir hier nicht manches neu überdenken und von manchen liebgewordenen und vielleicht schon festgefahrenen Vorstellungen Abschied nehmen. Wir reden zwar schon viel von der Familie, sind wir aber nicht doch in unseren Organisationen und in der Seelsorge manchmal zu einseitig auf die sogenannten Naturstände ausgerichtet? Die Familie sollte stärker im Zentrum stehen, auch in der Katholischen Aktion, in einer Weise, die die Familien weniger scheidet und mehr eint. Wir haben in der Seelsorge Männer-, Frauen- und Kindermessen, wir haben Glaubensstunden für verschiedene Stände, aber eine gut katholische Familie wird am Sonntag eher zerrissen als geeint, sie kann kaum zusammen in die Messe gehen. Auch hier sollten wir die Basisfunktion der Familie stärker erkennen und betonen. Wir haben Ehevorbereitungskurse, aber nur für jene, die unmittelbar vor der Heirat stehen. Sollten wir nicht versuchen, die heranwachsende Jugend stärker auf ihre kommende Aufgabe in Ehe und Familie vorzubereiten? Wir stehen vor der schmerzlichen Tatsache, dass das religiöse und kirchliche Engagement vieler junger Menschen schlagartig aufhört, wenn sie in die Pubertät kommen, wenn sich der physische Reifungsprozess auch in seelischen Krisen auswirkt. Warum kommen dann die Burschen und Mädchen nicht mehr zu uns? Warum glauben sie dann nicht mehr, dass wir ihnen gerade in dieser Zeit helfen können und warum meinen sie das? Ist unsere Sexualpädagogik zu stark auf das bloße Bewahren eingestellt, dass der junge Mensch, der meint, dass er die Bewahrung nicht durchhält, sich jenem nicht mehr zugehörig fühlt, der ihm mehr von Bewahrung gesprochen hat als von Bewährung; - davon, dass es nicht auf das Straucheln und Fallen, sondern immer wieder auf das Aufstehen ankommt. Hat er da unsere helfende Hand verspürt, hat er diese helfende Hand überhaupt erwartet?
Wir sind stolz darauf, alle Kinder im Religionsunterricht zu haben, aber warum verspürt man dann bei den Erwachsenen wenig von einem religiösen Wissen und einer religiösen Erziehung? Wir sehen daraus die Notwendigkeit einer Erwachsenenbildung auch im religiösen Bereich. Ihre Wichtigkeit ist unbestreitbar, sie ist wirkliche Apostolatsarbeit. Aber ist nicht eine religiöse Erziehung auch im vorschulpflichtigen Alter notwendig? Der Religionsunterricht in den staatlichen Schulen, wie er vor 100 Jahren eingeführt wurde, baut auf Voraussetzungen auf, die heute nicht mehr in diesem Maße gegeben sind, vor allem auf der Voraussetzung eines im Kern religiösen Elternhauses. Von der Mutter hat das Kind das erste Gebet gelernt, die Großmutter erzählt vom Vater im Himmel und der Vater des Kindes gab den drängenden Fragen Antwort und lenkte es auf das religiöse Grundwissen hin. Dieses religiöse Grundwissen, das das Kind im Elternhaus erwarb, das zu erweitern und zu vertiefen, dafür war der Religionsunterricht in den Schulen gedacht. Aber dieses religiöse Grundwissen ist heute kaum mehr vorhanden. Immer seltener sind Mütter da, die die Kinder beten lehren, gibt es Großmütter, die vom Himmel und vom Himmelvater erzählen und damit das Kind auf Gott verweisen. Die religiös durchwirkte Familie ist heute nicht mehr die durchschnittliche Familie; nicht infolge einer religiös feindlichen Einstellung - das gab es einmal in unserem Lande, ist aber heute weitgehend überwunden - sondern infolge einer gewissen religiösen Scheu der Eltern; mehr vielleicht ist es der allgemeine Trend, Erziehungsaufgaben weitgehend an die Schule abzuschieben: "Das soll dir später der Katechet in der Schule erzählen", das scheint heute die durchschnittliche Antwort auf religiöse Fragen der Kinder zu sein. Die Pädagogik des Kleinkindes betont heute, dass die Erlebnisse und Erfahrungen der frühesten Kindheit für das ganze menschliche Leben grundlegend sind. Daher müssen wir uns stärker als bisher um die religiöse Bildung und Erziehung auch der Kleinkinder kümmern und den Eheleuten schon bei der Trauung eine Art Katechismus in die Hand geben, worin sie praktische Antworten auf Fragen des ehelichen Lebens, vor allem aber Anleitungen zu Fragen der religiösen Kindererziehung finden. Das ist ein Beispiel, wie wir durch eine seelsorgliche Gewichtsverlagerung den Familien auch in ihrer religiösen Aufgabe helfen können. Wenn ich also zum Schluss Schwerpunkte einer postkonziliaren Familienseelsorge hervorheben will, so wäre dies:
1. Eine stufenweise und gründliche Ehevorbereitung, d. h. Kurse für die reifere Jugend und Ehevorbereitungskurse für die heiratsfähige Jugend, eine Erweiterung des Brautunterrichtes.
2. Bessere Auswertung der Sakramentenseelsorge für die Familie: festliche Trauung mit Brautmesse; feierliche Taufe mit Beteiligung von Gruppen von Schulkindern und Mitwirkung der Eherunden; eucharistische Sonntagsfeier der ganzen Familie; gelegentlicher Ausbau der Kindermesse zur Familienmesse; Seelsorgshelfer für Eheleute durch das barmherzig gehandhabte Bußsakrament.
3. Bessere Ausnützung der Sakramentalien: Wohnweihe für Neuvermählte, Muttersegnung, der seelsorgliche Hausbesuch in Verbindung mit religiösen Hausfeiern.
4. Wir brauchen das "gewachsene" Apostolat, das darin besteht, dass die Familie zuerst selbst als seelsorgliche Einheit verstanden wird. Das Laienapostolat beginnt nicht nur in den Verbänden und Pfarrgruppen, sondern entscheidend in der Familie. Apostolatsbereite Familien werden sich zum gemeinsamen Apostolat für die Erneuerung der Familien in der Pfarre und Öffentlichkeit zu Familienkreisen zusammenschließen. - Ferner sollen wir das große Interesse guter Eltern an Kindergärten, Kinderseelsorgestunden, Jungschar und Jugendgruppen, an der Schule dazu nützen, dass wir sie zu gemeinsamen Einsätzen in diesen Einrichtungen zusammenführen, informieren und begeistern.
Die Kinder- und Jugendseelsorge wird stets auch die Eltern mitberücksichtigen und versuchen, sie regelmäßig pädagogisch und religiös zu beeinflussen. Auch die pfarrliche Caritas soll auf Hilfe und Stützung der größeren Familien Bedacht nehmen: Nachbarschaftshilfe, Babysitter, gegenseitige Hilfe der älteren Leute, Interesse für die Einrichtung der Familienhelferinnen usw.
5. Die Pfarrseelsorge soll in besonderer Weise der Familie zugeordnet sein. Auch dies unterstreicht die Notwendigkeit des pastoralen Hausbesuches. Kinderseelsorge wird immer auch Familienseelsorge einschließen müssen.
6. Es wird sich nicht vermeiden lassen, einmal neu zu überlegen, welchen Platz besonders die jüngeren Familien in der Katholischen Aktion einnehmen können. Die bisherige Form, wie Katholische Aktion und Katholischer Familienverband nebeneinander arbeiteten, ist nicht befriedigend. Auch für den inneren Zusammenhang der Jugend zwischen Katholischer Jugend und Katholischer Aktion der Erwachsenen ist ein Hand-in-Hand-Arbeiten mit der Familienbewegung als Gliederung zu empfehlen. Sonst werden wir immer die Schwierigkeit haben mit der Überführung der Jugend zu den Erwachsenen. Diese Schwierigkeit macht uns seit 20 Jahren sehr viel zu schaffen. Das nächste lebensbewegende Anliegen der heiratsfähigen Jugend ist auf Ehe und Familie gerichtet, und daraus erwächst die Schwierigkeit beim Nachwuchs der Männer- und Frauenbewegung.
Das Volk wächst aus den Familien. Auch die Kirche wächst aus den Familien, nicht aus den erträumten Idealfamilien, sondern aus Familien, wie wir sie haben in der Umwelt, in der wir einmal leben. Wenn wir sie verändern wollen, müssen wir zuerst die Wirklichkeit sehen, so wie sie ist. Diese Wirklichkeit ist nicht immer so schön und gut, wie wir sie gerne haben möchten.
Sie ist aber auch nicht so schlecht, wie wir sie manchmal beklagen. Die Erkenntnis der Wirklichkeit muss die Voraussetzung der Aktion sein. - Die starken regenerierenden Kräfte der Familie lenken heute die Aufmerksamkeit wieder auf die Urzelle der staatlichen und kirchlichen Gemeinschaft. Durch ein neues Verständnis für die Familie werden wir auch dem kirchlichen Leben neue Kräfte zuführen. Hier liegt die Chance, die wir nützen wollen.
zitiert nach: Kardinal Dr. Franz König, Dr. Heinrich Drimmel, Ehe und Familie in Kirche und Staat von heute, in: Ehe und Familie, Schriftenreihe des Katholischen Familienverbandes Österreich. Heft 22, 1-10.