Schutz des Lebens ist Aufgabe jedes Gemeinwesens!
In der kommenden Woche beginnt der Nationalrat mit der abschließenden Beratung der Strafrechtsreform. Eine Reform - auch des Paragrafen 144 - war notwendig. Aber die sogenannte Fristenlösung halten nicht nur die Katholiken für keine Reform, sondern für eine schlechte Lösung. Man hat uns gesagt, dass man wohl verstehe, dass die Kirche sich aus religiösen Gründen dagegen aussprechen müsste. Das Gebot "Du sollst nicht töten" ist sicherlich ein religiöses Gebot. Ist es aber nur ein religiöses Gebot? Ist es nicht Aufgabe jedes Gemeinwesens, eines jeden Staates, das Leben zu schützen, ganz gleich, auf welcher weltanschaulichen Grundlage dieser Staat ruht?
Wenn dieses Gebot auch immer wieder gebrochen wurde und wird, durch Kriege, durch Gewalt, durch Terror, durch Folterung, durch geistige und politische Knechtung, darf man es abschaffen, indem man die Tötung in einer bestimmten Form legalisiert? Der Mensch kann nicht über das Leben des Menschen verfügen. Wir haben die Todesstrafe für Verbrecher abgeschafft, sollen wir sie sozusagen einführen für die Wehrlosesten und Unschuldigsten, für die noch nicht geborenen Menschen? Ein drei Monate alter Embryo hat nicht nur die Anlagen, sondern er hat deutlich sichtbar funktionsfähige Organe und das Aussehen eines Menschen. Unser Nein zur Fristenlösung bedient sich daher gar nicht ausschließlich religiöser, sondern vor allem auch menschlicher, medizinischer und wissenschaftlicher Argumente. Eine Gesellschaft, die wirtschaftliche und soziale und menschliche Konflikte mit der Tötung ungeborenen Lebens zu lösen vermag, verdient nicht, eine soziale und humane Gesellschaft genannt zu werden.
Die Mehrheit der Bevölkerung, über alle Parteigrenzen hinweg, ist gegen die Fristenlösung. Die Ärzte haben sich aus medizinischen Gründen - nicht nur bei uns - mit überwältigender Mehrheit eindeutig gegen die Fristenlösung ausgesprochen. Dort, wo die Fristenlösung eingeführt wurde, hat sie nicht zur Beseitigung, sondern zu einer Verschärfung menschlicher Konflikte geführt. Die Fristenlösung bewirkt auch nicht eine Befreiung der Frau, sondern ihre Auslieferung an all jene Kräfte, die an ihr nur als Produktionsfaktor interessiert sind. Die Fristenlösung ist zutiefst gegen eine echte Emanzipation der Frau. Sie setzt die Frau dem Druck ihrer Umwelt zur Abtreibung aus. Sie verhindert die Entwicklung eines humanen Sexualverhaltens, das einer verantwortungsvollen persönlichen Bindung entspricht.
Die Kirche ruft nicht nach Kerker und Strafe. Es hätte sich ein Weg finden lassen müssen, der das prinzipielle Recht des ungeborenen Kindes auf Leben schützt, dabei aber bei jenen Frauen, die aus nachweisbar auswegloser Situation handeln, die Strafe aussetzt. Und vor allem müsste die Gesellschaft, die so stolz auf ihre Errungenschaften ist, sich veranlasst sehen, jedes entstandene Leben so anzunehmen, dass ihm ein menschenwürdiges Leben gesichert ist.
Wir haben gemahnt, wir haben Argumente vorgelegt, wir haben protestiert. Haben alle diese Mahnungen und Argumente nichts genützt? Menschliches Leben zu schützen, einen anderen Ausweg als das Töten zu suchen, darf in diesem Land nicht als eine Marotte der Christen abgetan werden. In dieser ernsten Stunde wollen wir bezeugen, dass die Katholiken sich ihr Mitspracherecht in diesem Lande nicht rauben lassen, denn es ist auch unser Land. Wir lassen uns in kein Getto drängen, wir wollen keine Polarisierung, wir wollen keinen Kulturkampf - wir wollten die Brücken, die in der Vergangenheit mühsam aufgebaut wurden, nicht abbrechen. Sie werden verstehen, dass ich wie selten noch besorgt bin und auf die Entscheidung der Abgeordneten im Parlament warte. Es geht mehr als um einen Paragrafen, es geht um die Zukunft unseres Lebens.