Menschenwürde und Menschenrecht
Es vergeht heute kein Tag, an dem nicht in den Nachrichten von "Verletzung der Menschenrechte" die Rede ist; ob man dabei an die Greuel in Bosnien und Herzegowina, an den Sudan oder an andere Teile im östlich-asiatischen Bereich denkt, macht kaum einen Unterschied. Dabei geht es in erster Linie um Verletzung der Menschenrechte, wie sie heute allgemein anerkannt werden.
1. Zur Geschichte der Menschenrechte
Die Anerkennung der Menschenrechte hat in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts, besonders seit dem Ende des 2. Weltkrieges, wahrhaft einen Siegeszug angetreten. Niemals hat man früher so einheitliche und weitreichende Normen aufgestellt, um die Grundrechte des Einzelnen, wie kleiner Gemeinschaften zu umreißen, wie das in unserer Zeit geschehen ist. Auf nationaler wie internationaler Ebene wurden, seit dem 2. Weltkrieg, die allgemeinen Menschenrechte anerkannt - in Verbindung mit politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Orientierungen - wie dies früher nie der Fall war.
Diese Entwicklung zählt wohl zu den echten zivilisatorischen Leistungen unseres Zeitalters. Dass es dazu auch gelungen ist, im Laufe der Zeit eine ganze Reihe von Menschenrechtsdokumenten, mit allgemeiner Geltung, zu vereinbaren, ist umso erstaunlicher, wenn man dabei bedenkt, wie verschieden, gegensätzlich, zum Teil die weltanschaulichen Ansätze waren oder sind, von denen man dabei ausging. Ich finde es beachtenswert, dass die verschiedensten Kulturkreise in diesen Texten einen gemeinsamen Nenner finden.
Die Geschichte der Menschenrechte ist oft durch einander widersprechende Positionen gekennzeichnet. Einerseits sind es Ideen des Humanismus auf der Grundlage des Christentums, die unveräußerliche Würde des Menschen als Gottes Ebenbild ist Grundlage für eine solche Position; anderseits sind es Gedanken aus der Aufklärung und des politischen Liberalismus, die bei der Festlegung der Menschenrechte und Grundfreiheiten ihren Einfluss geltend machen. Was schließlich die Entwicklung der sozialen und wirtschaftlichen Rechte angeht, so kann die Herausforderung durch das marxistische Menschenbild, die marxistische Gesellschaftslehre, nicht übersehen werden.
Wie immer man die verschiedenen Vorstellungen und Wirkkräfte beurteilt, die zur konkreten Ausgestaltung der modernen Menschenrechtskataloge beigetragen haben, - so ist eines deutlich: allen Konzepten liegt ein Menschenbild zugrunde, das durch ganz bestimmte Wertvorstellungen geprägt ist. Eine wertfreie Erklärung der Menschenrechte gibt es nicht. Das zeigen bereits die Bemühungen um die Kodifizierung der Menschenrechte nach dem Ersten Weltkrieg, sowie die Annahme der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte am 10. Dezember 1948.
Die allgemeinen Menschenrechte beruhen auf der unantastbaren, unaufhebbaren Würde des Menschen, (... geschaffen nach Gottes Bild und Gleichnis). Diese menschliche Würde zeigt sich in der Selbstbestimmung und praktischen Selbsterkenntnis. Das Bewusstsein einer solchen Würde, in der alle Menschen gleich sind, manifestiert sich heute immer mehr im Lichte der existentiellen Unrechtserfahrung, durch Willkür und Gewalt.
Die KSZE-Konferenz, im Anschluss an die Helsinki-Akte, hat die Aufmerksamkeit immer mehr auf das Faktum der Menschenrechte und der menschlichen Würde in der breiten Öffentlichkeit gelenkt. Das kommunistische Weltbild geriet gerade durch den Prozess der Helsinki-Konferenzen immer mehr in einen Widerspruch zu diesen elementaren menschlichen Rechten; die Medien haben das verdeutlicht, erklärt und ohne Unterlass darüber berichtet. Die Teilnehmer an den KSZE-Konferenzen aus den kommunistischen Staaten konnten sich dem Vorwurf, die allgemeinen Menschenrechte zu missachten und zu verletzen, auf die Dauer nicht entziehen. Der Vorwurf: Gewissensfreiheit, Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit, in Verbindung mit den menschlichen Grundrechten, nötigte die marxistischen Vertreter zu kleinen Konzessionen. Der daraus entstehende Sprengstoff, innerhalb des Kommunismus, war gewissermaßen mitbeteiligt am Einsturz der Berliner Mauer.
In unserer bewegten Zeit ist es damit gelungen, den Schutz der menschlichen Person, die Absicherung ihrer wichtigsten Grund- und Freiheitsrechte, in einem allgemeinen Rechtskodex festzuhalten.
Der 10. Dezember gilt als Tag der Menschenrechte, weil an diesem Tag im Jahre 1948 die Vollversammlung der Vereinten Nationen die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" verabschiedete. Im Zusammenhang mit dem Tag der Menschenrechte hat Amnesty International zu den Kärntner Menschenrechtstagen dieses Jahres eingeladen. Damit soll das Bewusstsein der Bedeutung der Menschenrechte in unserem Lande gestärkt werden.
2. Einige Grundsätze
Zum heutigen Anlass möchte ich versuchen, einzelne Grundsätze dieses Dokumentes von Weltrang in einen aktuellen Bezug zu unserer Zeit zu stellen. Ich will mich dabei auf die Allgemeine Menschenrechtserklärung beschränken, ohne auf die später beschlossenen Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen einzugehen.
Artikel 1 der Deklaration erinnert an die Französische Revolution mit der Devise: "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit", das heißt, dass alle Menschen frei und gleich an Würde und Rechten geboren werden. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.
Dieser Grundsatz stellt, trotz seiner Kürze, bereits ein Programm für ein geordnetes menschliches Zusammenleben dar. Ohne so wesentliche Begriffe wie: Freiheit, Gleichheit, Würde und Gewissen kann man die Natur, das Wesen des Menschen nicht annähernd genau beschreiben. Den Grundsatz vom Geiste der Brüderlichkeit darf ich auch im Sinne des christlichen Prinzips der Nächstenliebe verstehen, durch die das Verhalten der Menschen untereinander ebenfalls geordnet wird.
Artikel 2 verbietet jede Diskriminierung, das heißt, jede Differenzierung des Rechtsanspruches, etwa nach Rasse, Farbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung. Die in der Deklaration beschriebenen Rechte gelten für alle und zu allen Zeiten, ohne auf nationale bzw. soziale Umstände, Geburt oder gesellschaftlichen Rang zu sehen.
Mit dem Verbot der Diskriminierung allein wird ein solcher Rechtsanspruch allerdings noch nicht verwirklicht werden können. Wenn wir in diesem Zusammenhang einen Blick auf unser eigenes Land werfen, dann sollten wir uns fragen, ob bei uns alles getan wird, um Minderheiten in Österreich zu schützen und ihnen den ungeschmälerten Anspruch auf die ihnen ebenfalls zustehenden Menschenrechte und Grundfreiheiten zu sichern.
Wenn wir dazu die Diskussionen um Menschenrechte, nicht nur in unserem Lande, sondern auch in anderen Ländern verfolgen, so fällt auf, dass dabei fast ausschließlich das Verhältnis des einzelnen Bürgers oder bestimmter Gruppen zum Staate in Betracht gezogen wird. Der besonders wichtige Aspekt jedoch, dass die Beachtung der Menschenrechte auch das Verhalten der Bürger untereinander umfassen soll, - nach den Worten der Deklaration "im Geiste der Brüderlichkeit", wird meist nicht beachtet. Auf die Verantwortung für den Nächsten im Allgemeinen wird allerdings im Artikel 29 Bezug genommen.
3. Zum Begriff der Freiheit
Ein weiterer Gedanke, der sich bei der Beschäftigung mit dem Thema der Menschenrechte nahelegt, betrifft den Begriff der persönlichen Freiheit. Amnesty International als weltweit anerkannte Gefangenenhilfsorganisation weiß, wovon ich rede: es geht darum, dass niemand willkürlich festgenommen, in Haft gehalten oder des Landes verwiesen wird. Artikel 9 der Menschenrechtserklärung hat eine allgemeine Formulierung für dieses Schutzrecht vor Verhaftung und Ausweisung gefunden. Es ist schlimm, dass in vielen Ländern der Welt heute immer noch willkürliche Verhaftungen, Gefängnisse, ja, sogar Folter und andere Formen grausamer und unmenschlicher Behandlung, wie ich anhand vorliegender Berichte weiß, fast täglich vorkommen. Gründe hierfür sind in der Regel politische Verfolgungen und politische Racheakte. Dass solche gröbliche Verletzungen der Menschenrechte aufgezeigt und dass wirksame Maßnahmen dagegen gesetzt werden, gehört zu den großen Leistungen von Amnesty International. Um so den Leidtragenden und Unschuldigen zu Hilfe zu kommen, hat Amnesty International sehr viel getan und das Bewusstsein dafür weltweit geschärft und gestärkt. Der damit verbundene Einsatz verlangt Zivilcourage, Mut, Idealismus, Entschlossenheit; dies gilt es weiterhin zu unterstützen.
Wenn also heute die Freiheit nicht nur verletzt, sondern buchstäblich mit Füßen getreten wird, so meine ich damit nicht nur Angriffe auf die physische Integrität des Menschen, sondern ebenso auch Eingriffe in seine Privatsphäre, in den psychischen Freiheitsraum des Einzelnen. Artikel 12 der Erklärung der Menschenrechte behandelt diesen Privatbereich des Menschen, und stellt ihn rechtlich unter Schutz.
Wenn wir in diesem Zusammenhang das geistige Klima in unserem Lande beobachten, so scheint es mir angezeigt, darauf aufmerksam zu machen, dass der private Bereich des Einzelnen, aber auch der Familie einer zunehmenden Beschränkung des legitimen Freiheitsraumes und damit einer Gefährdung ausgesetzt ist.
Ich bin mir bewusst, dass die Unterscheidung zwischen physischer und psychischer Gefährdung nicht einfach ist. Die physische Freiheitsbeschränkung steht natürlich im Vordergrund. Aber physische und psychische Freiheit im Sinne der Privatsphäre sind nicht einfach voneinander zu trennen. Es geht hier nicht nur um die Freiheit der Information und Meinungsäußerung, worauf Artikel 12 Wert legt; es geht heute - wir leben in einer Zeit der Medien, - nicht nur um die Freiheit, Kritik zu äußern, seine Meinung ungehindert sagen zu dürfen, - ohne Angst vor negativen Folgen; es geht hier und heute auch um das Recht, sich zu wehren, wenn der Privatbereich, die innere Freiheit, sich nach menschenwürdigen Grundsätzen zu entfalten, gefährdet wird. Das heißt, sich zu schützen vor jenem Psychoterror, der die innere, geistige Entscheidungsfreiheit hindern oder in eine andere Richtung lenken, abdrängen will. Dies gilt vor allem auch für den persönlichen und gesellschaftlichen Bereich religiöser Überzeugung.
In einer bekannten österreichischen Tageszeitung (Salzburger Nachrichten vom 2.12.92, S. 6) erschien dieser Tage der Bericht eines Primarius in einem Kinderspital, der aufgrund psychiatrischer und klinischer Begutachter von Kindern, von Bildern spricht, die Kinder krank machen können. Dieser Bericht des Arztes schließt mit der Aufforderung, es sollten sich alle Verantwortlichen bemühen, dass Horror- und Gewaltbilder, ob als Film, Video oder Comic, nicht an Kinder herankommen. Und, so füge ich hinzu, das gilt wohl auch von jungen Menschen in der Reifezeit, solange ihre persönliche Freiheit und Urteilsfähigkeit noch nicht die notwendige Festigkeit erreicht haben.
Hier möchte ich weiters darauf hinweisen, dass Freiheit immer auch in Verbindung zu sehen ist mit persönlicher und gesellschaftlicher Verantwortung. Denn: Freiheit, hemmungslos und willkürlich gebraucht, endet im Chaos. Andererseits verringert jede willkürliche Beschränkung der Privatsphäre, der inneren Gewissensentscheidung, zugleich die persönliche und gesellschaftliche Verantwortung, zum Nachteil des Einzelnen und der Gesellschaft. Mit anderen Worten: das Recht, sich gegen negative Beeinflussung, gegen Psychoterror jeder Art zu wehren, gehört mit zum Recht persönlicher innerer Freiheit der Privatsphäre.
Dieser Fragenkomplex gehört meiner Meinung nach auch zum Bonum Commune, das heißt, zum Gemeinwohl; und das zu schützen, ist in einem demokratischen Staatswesen zu einem wesentlichen Teil den Politikern anvertraut.
4. Zum Thema Flüchtlinge
Verehrte Zuhörer! Sie werden verstehen, dass ich den heutigen Anlass nicht vorübergehen lassen kann, ohne auf die uns alle bewegenden Fragen der Heimatvertriebenen und des Asylrechtes kurz einzugehen. Es liegt mir fern, den Politikern unseres Landes, um deren schwere Verantwortung ich sie nicht beneide, unerbetene Ratschläge zu erteilen. Mir geht es vielmehr darum, heute die Erklärung der Menschenrechte in Verbindung zu setzen mit der Situation unseres Landes, angesichts der vielen Flüchtlinge, die an unsere Tore pochen.
Ich verstehe gewiss die Befürchtungen, die Ängste mancher Mitbürger unseres Landes. In der Heimat ohne Angst zu leben, gehört auch zu den Menschenrechten. Zu Unmöglichem ist sicher niemand verpflichtet, aber die Grenzen des Möglichen von vorneherein zu bestimmen, sollten wir denen überlassen, die in ihrer Bereitschaft zu helfen, sehr weit gehen können. Gerade hier geht es nicht nur um materielle Not, sondern sehr oft um verletzte Menschenwürde.
Und meine Generation, die am österreichischen Schicksal, in Verbindung mit den beiden Weltkriegen, Entrechtung, Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung bewusst miterlebt hat, gerade meine Generation hat heute wohl die Verpflichtung, ihr menschliches Verständnis für das bedauerswerte Schicksal so vieler armer Menschen an unseren Grenzen, an jene weiterzugeben, die wirklich schwere Zeiten - Gott sei Dank! - noch nie erlebt haben.
Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte enthält im Artikel 14 einen Hinweis auf das Recht eines jeden Menschen, in anderen Ländern, aufgrund erlittener Verfolgungen Asyl zu suchen und es in Anspruch zu nehmen.
Unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg und unter dem Eindruck dieser schrecklichen Ereignisse war es nicht schwierig, das Asylrecht in die allgemeine Erklärung der Menschenrechte aufzunehmen. Als man in der Mitte der 60er Jahre daran ging, die seinerzeit als Empfehlung angenommenen Bestimmungen in eine völkerrechtlich verbindliche Verpflichtung zu ändern, hatte sich der Konsens hinsichtlich des Asylrechtes bereits wieder verflüchtigt. Es war in der Gegenwart dann nicht mehr möglich, in dieser Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen einen entsprechenden Grundsatz über das Asylrecht aufzunehmen.
Lassen Sie mich die persönliche Bemerkung anfügen, dass es angesichts der heutigen Situation nicht einfach Aufgabe der Politiker ist, sich darüber allein den Kopf zu zerbrechen, sondern dass jeder Einzelne in seinem Gewissen vor die Frage gestellt ist, was er als Mensch und auch als Christ an Hilfe beitragen kann.
5. Soziale Ordnung
Daran schließe ich noch ein Wort über den sozialen Aufgabenbereich, soweit er in der Erklärung der Menschenrechte aufgenommen wurde. Im Artikel 25 wird jedem Menschen das Recht zugesprochen, für seine und seiner Familie Gesundheit, Wohlbefinden, das heißt, Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Betreuung, auch die notwendigen Leistungen einer sozialen Fürsorge in Anspruch zu nehmen. Dies führt weiter zum Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität, Verwitwung, Alter oder sonstigem Verlust seiner Unterhaltsmittel ohne eigenes Verschulden. Die Erklärung erwähnt besonders den Anspruch, welcher dabei Müttern und ihren Kindern zusteht.
Dass aber im sozialen Bereich Anspruch und Wirklichkeit auf der Weltebene weit auseinander liegen, ist allen bekannt. Während in Österreich das soziale Netz im Vergleich dicht gespannt ist, müssen wir feststellen, dass der von der Menschenrechtserklärung vorgegebene soziale Standard ohne eine grundlegende Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse in den Entwicklungsländern wohl nicht realisiert werden kann. Es geht dabei aber nicht nur um eine Hilfestellung der industrialisierten Welt gegenüber den Ländern der Dritten Welt; umgekehrt können die Industrieländer auch von der Dritten Welt lernen. Bei aller Wertschätzung etwa des staatlichen Sozialsystems in Österreich möchte ich daran erinnern, dass es nie ausschließlich Sache des Staates sein kann, die soziale Betreuung im Sinne der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen durchzuführen. Vielmehr erscheint es im Sinne des Subsidiaritätsprinzips wichtig, zuerst die Familie als den natürlichen Ort sozialer Fürsorge zu sehen; der Staat soll erst dann und dort eingreifen, wo die Familie nicht mehr imstande ist, sich selbst zu helfen. Der Einzelne kann nicht alles vom Staat erwarten; was Familie, Nachbarschaft, kirchliche und private Organisationen tun wollen und tun können, darum soll sich nicht auch der Staat kümmern. Nur dort, wo diese Zwischengruppierungen versagen, ist es Aufgabe des Staates, helfend einzuspringen.
Zum Schluss, meine Damen und Herren, möchte ich, angesichts des furchtbaren Krieges in unserer Nachbarschaft, noch einmal Bezug nehmen auf das, was die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UNO als Instrument der Völkerverständigung und des Friedens ausdrücken will: Wenn Würde des Einzelnen als menschliches Grundrecht nicht mehr zur Kenntnis genommen und sinnlos zerstört wird, gibt es nur mehr Willkür und Barbarei. Denn die Anerkennung der Menschenrechte ist eine unabdingbare Voraussetzung für Völkerverständigung und eine Friedensordnung. Somit ist der Krieg in unserer unmittelbaren Nachbarschaft eine unglaubliche Katastrophe.
Lassen Sie mich abschließend, als Vertreter der Katholischen Kirche, noch einige Sätze anfügen, zum Thema Christentum bzw. Katholische Kirche und Menschenrechte.
Auf Seite des Christentums gab es im 18. und 19. Jahrhundert Vorbehalte, aufgrund missverständlicher Auslegung von Freiheit und Menschenwürde. Es war ein schmerzlicher Prozess, um in der christlichen Botschaft bereits den Wurzelgrund menschlicher Würde und unveräußerlicher Grundrechte zu erkennen. Das Bild des Menschen und seiner Welt, wie es auf der ersten Seite des Alten Testamentes gezeichnet ist: "Gott schuf den Menschen nach seinem Bild und Gleichnis", und das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe als Prinzip der Gleichheit aller Menschen, samt gegenseitiger Verantwortung, weisen in die Richtung menschlicher Würde und menschlicher Grundrechte.
Es war die säkularisierte Idee der Menschenrechte und Freiheitsrechte, die den christlichen Glauben wieder hingeführt haben zu einem tieferen Selbstverständnis der eigenen Glaubensgrundlage. Die Freiheits- und Gleichheitsrechte des Menschen sind Voraussetzung für Gewissensfreiheit, Toleranz, religiöses Bekenntnis ohne äußeren Zwang.
In der Folge haben auch die Päpste die Bedeutung dieser Frage erkannt. Das bekannte Rundschreiben Leos XIII. Rerum novarum nimmt zum ersten Mal Bezug auf dieses Thema. Pius XI. in seinen beiden protestierenden Rundschreiben gegen Faschismus und Nationalsozialismus und später Pius XII. fanden den Hinweis auf Menschenwürde und Menschenrechte als besonders hilfreich. Am nachdrücklichsten tat es Johannes XXIII. in seiner großen Friedensenzyklika Pacem in terris (1963).
Ausdrücklich und ausführlich ist das II. Vatikanum auf den Grundsatz der Würde des Menschen und seiner unveräußerlichen Freiheitsrechte eingegangen. Ein Beispiel dafür: Im Dokument über Kirche und Welt (Nr. 26, 27) heißt es: "Alles muss daher dem Menschen zugänglich gemacht werden, was er für ein wirkliches Leben braucht, wie Nahrung, Kleidung, Wohnung; dazu gehört auch das Recht auf freie Wahl seines Lebensstandes, auf Familiengründung, Erziehung, Arbeit, Ehre und guten Ruf, auf ein entsprechendes Recht zur Information und schließlich das Recht, nach der richtigen Norm seines Gewissens zu handeln; dazu gehört das Recht auf Schutz seiner Privatsphäre, das Recht auf freies Religionsbekenntnis" ... "der Sauerteig des Evangeliums hat im Herzen des Menschen den nicht zu widerlegenden Anspruch auf Würde erweckt und erweckt ihn auch weiter". Daraus folgt weiter: "Alle müssen ihren Nächsten ohne Ausnahme als ein 'anderes ICH' ansehen". Das erinnert an das Wort der Schrift: "Was ihr dem Geringsten dieser meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan" (Mt 25,40).
"Was immer die menschliche Würde angreift, ..." so das Konzil weiter, "ist an sich schon eine Schande. Es ist eine Zersetzung der menschlichen Kultur, entwürdigt weit mehr jene, die das Unrecht tun, als jene, die es erleiden. Zugleich ist es im höchsten Maße ein Widerspruch gegen die Ehre des Schöpfers" (Gaudium et spes, Nr. 27). In diesem Sinn hat das II. Vatikanum das fortgesetzt, was die Erklärung der allgemeinen Menschenrechte grundgelegt hat.