Immerwährendes Ringen
Für die katholische Christenheit und ihre Führung geht es darum, die Zeichen der Zeit zu erforschen, sie im Lichte des Evangeliums zu erkennen und mit dem Blick auf die Zukunft zu deuten; das heißt: nach den Bedingungen Ausschau zu halten, unter denen der "Sauerteig" der Botschaft Christi entsprechend wirksam werden kann. So oder ähnlich ist das Motiv, um heute nach der Zukunft der Kirche, nicht nur in unserem Land, zu fragen. Es wird dabei immer das besondere Anliegen sein, die Einheit in der möglichen Vielfalt zu erkennen und zu wahren, in der Gegenwart und vor allem in der Zukunft.
In der Diskussion der letzten Zeit - ich denke an den westeuropäischen und mitteleuropäischen Raum - ging es auch um die Bewertung verschiedener Konzilsaussagen. Die dabei in Erscheinung getretenen Fronten kreisen vor allem um das rechte Kirchenbild in der Welt von heute. Dabei legen die einen den Akzent auf Uniformität im Gegensatz zur legitimen Vielfalt. Die anderen bringen ihre Sorgen zum Ausdruck, dass fundamentalistische Unterströmungen das Bild der Kirche für die Zukunft einengen und verzerren könnten. Niemand wird dem anderen von vornherein den guten Willen absprechen können. Wie zeigt man aber zukunftsweisende Wege aus der Verunsicherung?
Es ist schade, dass in diesem Zusammenhang die klärende Orientierung der Konzilien - ich spreche bewusst nicht nur vom Zweiten Vatikanum - zu wenig beachtet wird. Die Einheit des Glaubens zu wahren, angesichts möglicher Vielfalt in menschlicher, kultureller und historisch überlieferten Hinsicht - dies war im Grunde immer auch das Anliegen der Konzilien. Auf ihnen begegneten sich jeweils Gegenwart und Zukunft der Kirche Jesu Christi. Im Ringen um die Einheit des Glaubens und einer christlichen Lebensordnung für das wandernde Gottesvolk in die unbekannte Zukunft - darin sehe ich persönlich die bleibende Bedeutung der Konzilien.
Wenn zum Beispiel im Jahre 1545 - nach langem Zögern der Päpste - das Reformkonzil zu Trient ein Jahr vor Luthers Tod (1546) zusammentrat, so ging es dort nicht nur um die Reform der Gegenwart, sondern auch um Orientierung für die Zukunft. Rückblickend kann man sagen, dass die damals durch das Konzil erfolgte Erneuerung der Kirche von ähnlicher Bedeutung für den Weg der Kirche war, wie jene, die das Konzil von Nicäa (325) bewirkte. Auch damals stand die Einheit des Glaubens auf dem Spiel.
Und im Rückblick auf das Erste Vatikanum (1869/70) hat die Klärung des Primates des Bischofs von Rom, trotz mancher damaliger Widerstände, mitgeholfen, den Übergang von einer europäischen Kirche zu einer Weltkirche vorzubereiten.
Man war sich damals allerdings noch nicht bewusst, dass ein Übergewicht konziliarer Vorstellungen als alleiniger Garant der Einheit in einer Weltkirche immer weniger ausreichen würde. Man konnte sich andererseits aber auch zu wenig bewusst sein, dass die Definition des päpstlichen Primates allein - ohne Verbindung mit dem Kollegium der Bischöfe - als Garant der Einheit in einer Weltkirche, mit eingebunden in den Prozess der einswerdenden Welt - auf immer größere Schwierigkeiten stoßen würde.
Ein Blick auf das noch weiter zurückliegende Konzil von Konstanz (1414) zeigt uns eine etwa ähnliche Situation: Damals ging es um die Beseitigung des abendländischen Schismas: die Ablehnung der konziliaren Vorstellungen eines Jan Hus. Durch das Zusammenwirken von Papst und Kollegium der Bischöfe auf dem Konzil wurde die Wiederherstellung der Glaubenseinheit ermöglicht.
Alle Konzilien reflektieren so auf ihre Weise das Ringen um die Einheit der Kirche; sie bemühten sich, damit die Botschaft des Evangeliums ihrer Zeit verständlich zu machen. Die so gefassten Entschlüsse wirkten und wirken in die nähere und fernere Zukunft der Kirche - aber auch der Staaten und der gesellschaftlichen Bereiche. Aus einer solchen Sicht hat das Zweite Vatikanum (1962 bis 1965) seine besondere Bedeutung für die Zukunft der Kirche: Die zur Weltkirche heranwachsende christliche Glaubensgemeinschaft hat die Defensivhaltung des 19. Jahrhunderts mit dem "Syllabus" überwunden; sie hat sich dem Dialog mit der Welt geöffnet.
Sie hat sich zum Grundsatz der Religionsfreiheit bekannt; das heißt, nicht (nur) Freiheit von Religion, sondern zur Freiheit für Religion in der staatlichen Gemeinschaft. Sie verkündete vor den getrennten Christen und vor der ganzen Welt, eine besondere Aufgabe darin zu sehen mitzuhelfen, um die Einheit aller Christen wiederherzustellen. "Denn Christus hat eine einige und einzige Kirche begründet" (Ökumenismusdekret, Nr. 1).
Auf dem Zweiten Vatikanum wurde die Bedeutung und kirchenamtliche Stellung eines allgemeinen, ökumenischen Konzils zum ersten Mal näher präzisiert in der Dogmatischen Konstitution über die Kirche, wo es heißt: "Die höchste Gewalt über die ganze Kirche, die dieses Kollegium (das heißt das 'Kollegium oder die Körperschaft der Bischöfe') besitzt, wird in feierlicher Weise im ökumenischen Konzil ausgeübt. Ein ökumenisches Konzil gibt es nur, wenn es vom Nachfolger Petri als solches bestätigt oder wenigstens angenommen wird. Der Bischof von Rom hat das Vorrecht, Konzilien zu berufen, auf ihnen den Vorsitz zu führen und sie zu bestätigen.'' (Lumen gentium, Nr. 22)
Über alle richtungsweisenden Dokumente des Zweiten Vatikanums, es waren insgesamt 16, wurde einzeln abgestimmt. Bei den Endabstimmungen mit ungefähr 2200 bis 2300 Konzilsvätern gab es - und dies ist im Rückblick auch sehr auffallend - bei den endgültig verabschiedeten Dokumenten bloß bei zwei bis drei Texten an die 70 bis 80 "Nein"-Stimmen ("Religionsfreiheit" mit 2306 Ja- und 79 Nein-Stimmen; "Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen" mit 2221 Ja- zu 88 Nein-Stimmen; "Kirche und Welt" mit 2309 Ja- zu 75 Nein-Stimmen). Alle anderen Texte blieben mit ihren Nein-Stimmen weit darunter.
Klärung des Verhältnisses von Juden und Christen
Das heißt: Alle Texte wurden fast einheitlich, mit überwältigender Stimmenmehrheit angenommen. Dies bleibt ein eindrucksvolles Zeichen für die Glaubensgemeinschaft, wie sie durch die Abstimmung zum Ausdruck gekommen ist.
Ein Konzilsdokument mit rund fünf Seiten, "Erklärung über das Verhältnis der katholischen Kirche zu den nicht-christlichen Religionen" (Nostra aetate) enthält in seinem vorletzten Kapitel (Nr. 4) auf weniger als zwei Seiten die weltweit viel zitierte Klärung des Verhältnisses von Juden und Christen. Das war in der Tat eine geschichtliche Wende. Von dieser kurzen Erklärung mit ihren fünf Kapiteln heißt es, und das wohl mit Recht, dass sie in der Geschichte der Kirche und ihrer Konzilien einzigartig sei, durch ihre innere, in die Zukunft weisende Dynamik.
Die auf diesem Konzil fast demonstrativ gezeigte Einheit des Glaubens fand ein bedeutendes internationales Interesse, gesteigert durch ein pressefreundliches Klima gegenüber dieser Kirchenversammlung. Ursache war dafür die Internationalität dieses Konzils, die Teilnahme vieler Bischöfe, auch aus den Ländern hinter dem Eisernen Vorhang von damals, wie auch die Anwesenheit vieler nichtkatholischer Beobachter und Laien.
Im Rückblick von heute, 25 Jahre später, nimmt es wunder, dass die positiven Eindrücke von damals in der nichtkatholischen Öffentlichkeit zum Teil verwischt, im innerkatholischen Bereich durch die nachkonziliaren Diskussionen in manchen Kreisen sich ins Gegenteil verkehrt zu haben scheinen. Die heftigen Kritiken von Minderheitengruppen mit Erzbischof Lefébvre als Speerspitze sind zeitweise an Schärfe kaum zu überbieten. Erzbischof Lefébvre - er selbst hatte alle Konzilsdokumente unterzeichnet, mit Ausnahme von zweien, nämlich: Religionsfreiheit und Welt und Kirche - meinte in der Einleitung eines auch in deutscher Übersetzung vorliegendes Buches "Sie haben ihn entthront" über das letzte Konzil: "Ohne dieses Konzil als Ganzes zu verwerfen, glaube ich, dass es das größte Unglück dieses Jahrhunderts, ja aller Jahrhunderte seit der Stiftung der Kirche ist."
Diese, besonders in Westeuropa auftretende scheinbare Trendwende geht nicht nur auf fundamentalistische Gruppen und ihre entsprechende Mentalität zurück. Mitursache ist wohl auch die einige Zeit nach dem Konzil erfolgte Änderung im Messritus und in der Liturgie, ohne entsprechend ausreichende Vorbereitung und ohne eine Zwischenphase des Übergangs. Das reizte einige, an die äußere Tradition gebundene Gemüter zum Widerspruch. Dazu kommen noch Einflüsse, Themen und Tendenzen, die aus der Zeit vor dem Konzil in der nachkonziliaren Zeit wieder auftauchten - ohne direkten Zusammenhang mit dem Konzil.
Kein Konzil hat konkrete Anweisungen für die Glaubensverkündigung, für die religiöse Unterweisung oder die Seelsorge gegeben. Wohl waren es aber immer Akzente, dazu bestimmt, die Zeichen der Zeit zu deuten und damit der Glaubensverkündigung die entsprechende Ausrichtung zu geben. Die Einheit des Glaubens muss sich unablässig mit der sich immer wieder wandelnden möglichen Vielfalt auseinandersetzen.
In diesem Sinn ging es bei den Konzilien immer um einen neuen Anfang der Evangelisierung. Und das gilt auch für das Zweite Vatikanum. Die zu wahrende Einheit des Glaubens muss sich mit einer neu gewachsenen, geschichtlich bedingten Vielfalt auseinandersetzen. Das heißt, die veränderten Zeitumstände wahrzunehmen und doch die Botschaft Christi ohne Abstriche zu verkünden.
Das äußere Antlitz der Kirche, das Bewusstsein einer Weltkirche, hat sich, der Zeit entsprechend, verändert. Die katholische Kirche hat ihr europäisches Kleid auf diesem ökumenischen Konzil des 20. Jahrhunderts abgelegt. Das kuriale Zentrum des Vatikans ist seitdem in seinen Kongregationen und Kommissionen international zusammengesetzt worden.
Päpstlicher Primat, bischöfliche Kollegialität
Diese "Umschichtung" machen folgende Zahlen deutlich: Während das Konzil von Nicäa circa 300 Konzilsväter versammelte, waren es beim Ersten Vatikanum 769. Zum Zweiten Vatikanum waren 2850 als Berechtigte zur Teilnahme geladen. Beim Ersten Vatikanum kamen 488 Bischöfe aus Europa; das waren 70 Prozent der Gesamtzahl. Beim Zweiten Vatikanum kamen 1175 Bischöfe aus Europa, das waren aber nur mehr 40 Prozent der Gesamtzahl. Aus Afrika kamen beim Ersten Vatikanum 14 Bischöfe, davon keiner ein geborener Afrikaner. Das waren damals knapp zwei Prozent der ganzen Versammlung. Diesmal waren es 279 oder zehn Prozent; davon waren 135 eingeborene Afrikaner. Ähnliche Zahlen gelten für die asiatischen Länder.
Dementsprechend kam auch im letzten Konzil eine Änderung des Bewusstseins in der einen oder anderen Form in den Dokumenten zum Ausdruck. So hieß es zum Beispiel: "Daher wendet sich das Zweite Vatikanum ... ohne Zaudern nicht mehr bloß an die Kinder der Kirche und an alle, die Christi Namen anrufen, sondern an alle Menschen schlechthin, in der Absicht, allen darzulegen, wie es Gegenwart und Wirken der Kirche in der Welt von heute versteht" (Welt und Kirche, Nr. 2)
Darüber hinaus wurde die vertikale Gliederung der Kirchenleitung durch den päpstlichen Primat in Einklang gebracht mit der bischöflichen Kollegialität. Denn, so heißt es in der Dogmatischen Konstitution über die Kirche: "Die Ordnung der Bischöfe aber, die dem Kollegium der Apostel im Lehr- und Hirtenamt nachfolgt, ist gemeinsam mit ihrem Haupt, dem Bischof von Rom, und niemals ohne dieses Haupt, gleichfalls Träger der höchsten und vollen Gewalt über die ganze Kirche" (Lumen gentium, Nr. 22). Daher heißt es nun auch in den Schlussformeln der einzelnen 16 Konzilstexte: "Was in dieser Konstitution, in diesem Dekret ... ausgesprochen ist, hat die Zustimmung der Väter gefunden; und Wir, der von Christus uns übertragenen apostolischen Vollmacht entsprechend, billigen, beschließen und verordnen es, zusammen mit den ehrwürdigen Vätern im Heiligen Geist und gebieten zur Ehre Gottes die Veröffentlichung dessen, was durch das Konzil verordnet ist." Dann folgen die einzelnen Unterschriften aller anwesenden Konzilsväter. Auf diese Weise sollte die gemeinsame Verantwortung auf eine neue Weise deutlich zum Ausdruck kommen.
In der nachkonziliaren Zeit allerdings ist immer noch weitgehend das vertikale Autoritätsprinzip, aufgebaut auf einem kurialen und zentralen Verwaltungssystem, dominierend geblieben. Bis jetzt wurde noch kein allseits befriedigender Weg gefunden, um dies mit dem horizontal verbreiteten Kollegium der Bischöfe, dem Leistungsprinzip "Einheit in der Vielfalt" entsprechend, ausreichend zu koordinieren. Die kurialen Strukturen der Vergangenheit allein reichen dafür nicht aus.
Die Defensive, die Verteidigungsstellung, in die die Kirche des 19. Jahrhunderts geraten war, um sich gegen die Zeitirrtümer zu verteidigen, wie Pantheismus, Rationalismus, Liberalismus und Kommunismus von damals, wurde nun abgelöst durch den Dialog, welcher in den drei neuerrichteten Sekretariaten (Zur Förderung der Einheit der Christen, für den Dialog mit den Nichtglaubenden) seinen sichtbaren und bleibenden Ausdruck fand. Diese Defensive, diese Isolierung, als Grundeinstellung gegenüber den geistigen Vorgängen ringsum, wurde einerseits durch die beiden Weltkriege, aber andererseits tieferreichend abgelöst durch eine bewusste pastorale Hinwendung zur Welt im Konzil.
Deutliche Signale in diese Richtung setzte schon Papst Johannes XXIII. bei seiner Eröffnungsansprache an die Kirchenversammlung am 11. Oktober1962. Er warnte davor, zu meinen, dass sich in der Geschichte dauernd alles zum Schlechteren wende. Er wies auf Unglückspropheten hin, "die in der modernen Zeit nichts anderes zu sehen vermögen, als Unrecht und Untergang".
Den tiefreichenden Wandel erlebten wir als Konzilsteilnehmer am 8. Dezember 1965 beim päpstlichen Gottesdienst in St. Peter, mit dem das Zweite Vatikanum seinen Abschluss fand. Ein offizieller Vertreter des Patriarchen von Konstantinopel war in seiner liturgischen Kleidung beim Gottesdienst anwesend. Er stieg am Schluss zum Papstaltar empor, als Paul VI. im überfüllten Dom von St. Peter folgendes mitteilte: Im gegenseitigen Einvernehmen mit dem Patriarchen von Konstantinopel, dessen Vertreter an seiner Seite steht, wird jene gegenseitige Bannbulle aufgehoben, durch die im Jahr 1054 das abendländische Schisma besiegelt wurde. Damals gab es einen Beifallssturm in St. Peter, den kein Teilnehmer von damals vergessen kann. Kommentare meinten damals, man hörte in jener Stunde in St. Peter Fesseln fallen, die nun für die gesamte Christenheit den Blick in die Zukunft frei machten.
Der Wandel der geschichtlichen Situation wird noch in anderer Hinsicht deutlich: 1864 veröffentlichte Papst Pius IX. den sogenannten Syllabus, durch den 80 namentlich angeführte Zeitirrtümer verurteilt wurden. Bezeichnend für damals: Die Regierungen von Italien, Frankreich und Russland verboten eine Zeit lang die Veröffentlichung des Syllabus in ihren Staaten. 1910 verurteilte Papst Pius X. in einem Dekret "Lamentabili" in 65 Sätzen den Modernismus als "Sammelbecken" aller Häresien und traf damit nicht nur eine antiklerikale Philosophie, eine gegen den Glauben gerichtete Naturwissenschaft, sondern auch eine liberale, vergleichende Religionswissenschaft mit einseitiger Bibelkritik. Die Kluft zwischen Kirche und wissenschaftlichem Fortschritt, zwischen Kirche und Welt schien unüberbrückbar. 100 Jahre nach Syllabus, zu Beginn des Zweiten Vatikanums, hatten Philosophie, Naturwissenschaften, vergleichende Religionswissenschaft ihre Sicherheit verloren: Der Fortschrittsglaube selbst war in eine Sackgasse geraten. Angesichts dieser neuen Situation hat die Kirche im Zweiten Vatikanum ihre Defensivhaltung endgültig aufgegeben und sich dem Dialog mit der Welt geöffnet.
Die geistige Orientierung dieses Konzils war daher vorwärts gerichtet, in eine Zeit mit anderen Sorgen und Problemen als das 19. Jahrhundert. Und auch der Missionsauftrag der Kirche Christi blieb damit nicht fixiert auf die Situation des 19. Jahrhunderts. Das muss man wohl denen sagen, die heute mit Zitaten aus dem Syllabus und dem Dekret "Lamentabili" die letzte ökumenische Kirchenversammlung, das Zweite Vatikanum und seine Dokumente bekämpfen wollen.
Von großer geschichtlicher Bedeutung und Fernwirkung ist die auf dem Zweiten Vatikanum offiziell beschlossene Mitarbeit an der ökumenischen Bewegung. Auch diese wurde zum Anlass für ablehnende Debatten und Diskussionen in der nachkonziliaren Zeit.
Bei der feierlichen Abstimmung des Ökumenismusdekretes gab es allerdings nur elf Nein-Stimmen. Der Ökumenismus, so heißt es in einer gegnerischen Stellungnahme, "ist in offenem Gegensatz zu der göttlichen Offenbarung, welche 'Trennung' vorschreibt und Vereinigung verwirft, zwischen dem Licht und der Finsternis" (Lefébvre, Offener Brief an den Papst, 1977).
Auf dem Weg zu einer globalen Einheit
Für eine auf die Zukunft orientierte Christenheit konnte kaum etwas wichtiger sein als die Überwindung des großen Ärgernisses der Spaltungen. Nach dem Willen Christi sollen seine Jünger "eins sein, damit die Welt glaube" (Joh 17,21). Ich darf in diesem Zusammenhang an die Spaltungen, die in der Geschichte der Christenheit aufgetreten sind, erinnern: vor allem jene zwischen Ost- und Westkirche und die durch die Reformation im 16. Jahrhundert innerhalb der Westkirche aufgetretenen Spaltungen.
Weil die katholische Kirche auf lokaler, regionaler und universaler Ebene die ökumenische Bewegung mitträgt, ist dieser gemeinsame Aufbruch in Richtung auf Wiederherstellung der verlorenen Einheit zu einem Zeichen der Hoffnung geworden, trotz aller Schwierigkeiten, die weiter bestehen oder aber neu auftauchen. Mit dem Blick nach vorne, in die Zukunft einer fragenden und suchenden Menschheit, braucht diese Bewegung als geschichtlicher Prozess aber viel Zeit und Geduld.
Die katholische Kirche ist daher in vielen bilateralen Dialogen engagiert. Das mancherorts behauptete Erlahmen des ökumenischen Interesses liegt zum Teil am Mangel an Publizität der vielfältigen Arbeitsvorgänge. Einen deutlichen Gegenbeweis konnte unlängst die Versammlung von Basel (Frühjahr 1989) erbringen. Die ökumenische Bewegung ist eben ein langwieriger Prozess und nicht mit einer Parlamentsdebatte mit Abschlusskommuniqués zu vergleichen. Dass auf lokaler Ebene gelegentlich unkluger Eifer Sache schadet, kann nicht geleugnet werden. Es ist aber falsch, solche Einzelfälle dem Konzil oder dem konziliaren Prozess als solchem anzulasten.
Aufs neue und heftig entfacht wurde der nachkonziliare Streit durch das Ereignis von Assisi. Im Oktober 1986 waren auf Einladung des Papstes Vertreter anderer Religionen, Vertreter der Weltreligionen, dort zusammengekommen, um für den Frieden in der Welt zu beten; dies geschah allerdings nicht gemeinsam, sondern alle Religionsvertreter beteten jeder für sich um den Frieden.
Die vielen Vorwürfe, die man damals der Veranstaltung von Assisi machte, kann man ungefähr so zusammenfassen: Das erste Gebot des Dekalogs und der erste Artikel des Glaubensbekenntnisses seien bei jenem Treffen als Grundlage für den katholischen und christlichen Glauben relativiert worden. Assisi habe den Missionsauftrag der Kirche verunsichert. Der Papst und die Kirchenführung seien auf diese Weise so sehr in Sog eines neuzeitlichen Relativismus und bloßen Humanismus hineingeraten, dass die Wahrheitsfrage immer mehr an Bedeutung verliere.
Abgesehen von absichtlicher, fundamentalistischer Missdeutung müssen wir allerdings jene zu verstehen versuchen, die nicht erkennen, dass wir auf dem Weg zu einer globalen Welteinheit sind. Das Wissen um diese wachsende Schicksalsgemeinschaft der Menschen lässt zugleich auch die Bedeutung der Religionen stärker hervortreten. Wie überhaupt das gesamte religiöse Erbe der Menschheit eine immer deutlicher hervortretende friedensstiftende Aufgabe hat.
Das für manche besorgte Christen befürchtete Risiko der Vermengung ist wohl immer zu sehen im Zusammenhang mit dem Wort der Schrift, wo es heißt: "Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage ..." (Mt 28,20b). Dort allerdings, wo heute Religion und Politik sich mischen, entsteht oft ein fundamentalistisch-explosives Hassgemenge, das zur Gefahr kriegerischer Verwicklungen führen kann.
Die in die Zukunft weisende Bedeutung von Assisi sehe ich persönlich vor allem darin, dass erstens die Christenheit, die katholische Kirche, durch den einladenden Papst ein Zeichen gesetzt hat, wie sehr sie es als ihre Aufgabe ansieht, Einheit und Eintracht unter den Menschen zu fördern. Als Weltkirche wächst hier der katholischen Kirche eine friedensfördernde Aufgabe in besonderem Maße zu. Zweitens: Angesichts der religiösen Anlage aller Menschen soll es Aufgabe aller aus menschlicher Erfahrung stammenden Religionen sein, Religionsfreiheit und menschliche Würde im weltweiten Gemeinwohl zu verteidigen. Die katholische Kirche soll dabei beispielgebend vorangehen. Daher ist der Missionsauftrag der Kirche Christi nicht geändert worden, sondern hat eine neue Situation zu berücksichtigen. Drittens: In Assisi wurde vor aller Welt das Religiöse, religiöser Glaube, aus einer rationalistischen Mindereinschätzung gehoben. Eine gesteigerte Wertschätzung für das Religiöse konnte so vor der Weltöffentlichkeit betont werden. Solches schafft dem ersten Gebot des Dekalogs wie dem ersten Glaubensartikel eine neue Resonanz unter unseren verunsicherten Zeitgenossen. Viertens schließlich hat das Ereignis von Assisi eine Vielzahl religionsgeschichtlicher, rationalistischer und theoretischer Diskussionen um Interpretationen sowie Fragestellungen der Religionswissenschaft aus der zweiten Hälfte des 19., wie aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts fast wortlos zur Seite geschoben und die Kraft des Religiösen für die Zukunft der Menschheit neu ins Bewusstsein gerückt.
Mit der in diesem Beitrag versuchten Darstellung des größeren Zusammenhanges sollten die für den einzelnen gewiss oft schmerzlichen Auseinandersetzungen des Tages viel an Bitterkeit verlieren. Die innerkirchlichen Diskussionen verstellen nur zu leicht den Blick für die größeren Zusammenhänge.