"Mit Vertrauen und Realismus": Fernsehansprache zum bevorstehenden Konzil
Wir befinden uns bereits mitten in den Ferien, einer Zeit, in der wir ausspannen können nach einer langen und harten Arbeit im vergangenen Jahr. Es gibt aber einen Ort, - und das ist das Anliegen dieser Sendung - wo es heuer im Sommer 1962 für niemanden einen Urlaub gibt, weil die Arbeit drängt und viele neue Verpflichtungen noch immer anfallen. Das ist Rom, - oder besser gesagt, der Vatikan - wo mitten in der römischen Sommerhitze die Vorbereitungsarbeiten für das Vatikanische Konzil ihrem Ende entgegengehen.
Es dürfte Ihnen nicht unbekannt sein, dass am 11. Oktober, das heißt in knapp 3 Monaten, in der Peterskirche - wo die technischen Vorbereitungen bereits im vollen Gange sind - der Papst das Ökumenische Konzil feierlich eröffnen wird. Es werden daran teilnehmen alle Kardinäle, über 2500 Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte und Prälaten, Generalobere und als geladene Gäste Vertreter anderer christlicher Religionsgemeinschaften. Es werden natürlich auch alle österreichischen Bischöfe an dieser Kirchenversammlung teilnehmen.
Von den Vorbereitungen und Durchführungen, von den Erwartungen und Hoffnungen, aber auch von den Illusionen, die sich aus einer falschen Einstellung auf das Konzil ergeben, möchte ich jetzt zu Ihnen sprechen.
Wie Sie wohl wissen, ist ein Ökumenisches Konzil eine Versammlung aller Kardinäle, Erzbischöfe, Bischöfe usw., die unter dem Vorsitz des Papstes wichtige Glaubensfragen, Fragen des kirchlichen Lebens erörtern und entsprechende Entschlüsse fassen. Bisher hat es in der Kirchengeschichte 20 solcher Kirchenversammlungen gegeben. Das letzte Konzil, das I. Vatikanische, fand vor fast 100 Jahren in Rom statt.
Die entfernteren Vorbereitungen für das kommende Konzil sind also bereits zu Ende gegangen. Das heißt, 12 Sonderkommissionen haben ihre Fragen diskutiert, zusammengefasst und der Zentralkommission vorgelegt. Die Zentralkommission ihrerseits hat alle diese Arbeiten einer sehr gründlichen Revision, Umarbeitung und Änderung unterzogen. In dieser vorläufigen Fassung ist - nach Abschluss der Arbeiten in der Zentralkommission Ende Juni - das gesamte Material dem Papst zur letzten Entscheidung vorgelegt worden. Im Anschluss daran werden diese vorläufigen Fassungen allen Bischöfen in der ganzen Welt zugesandt, damit sie sich anhand dieser Dokumente für die erste Sitzungsperiode im Herbst gründlich vorbereiten können. Man kann sagen, dass kaum ein Konzil so gut vorbereitet wurde wie das kommende. Man kann sagen, dass wohl kein anderes Konzil im Vorbereitungsstadium so sehr das Interesse der Weltöffentlichkeit erregt hat wie das II. Vatikanische.
Was kann nun die Welt, die Christenheit, was können die Katholiken von diesem Konzil erwarten? Wie sollen wir uns auf das kommende Konzil einstellen? Ich möchte darauf kurz antworten: Mit Vertrauen und mit Realismus, oder wenn ich ein Wortspiel gebrauchen darf, mit realistischem Vertrauen und mit vertrauensvollem Realismus. Mit realistischem Vertrauen, das heißt, wir sollen sowohl überschwängliche Erwartungen wie zu große Zaghaftigkeit meiden; mit vertrauensvollem Realismus, das heißt, wir sollen uns auf die Wirklichkeit stützen, so wie sie ist. Dazu gehört nicht zuletzt für den Katholiken auch das Vertrauen auf den Beistand Gottes.
Dieses Vertrauen gründet sich bei uns Christen auf jenen Beistand des Heiligen Geistes, der uns verheißen wurde, auf die Führung des Geistes Gottes, der bei den großen Kirchenversammlungen der Vergangenheit spürbar in Erscheinung getreten ist. Der Ernst und das Verantwortungsbewusstsein, mit dem dieses Konzil vorbereitet wurde, das echte Ringen um Klarheit und Gültigkeit der Entscheidung, - das ich als Mitglied der Zentralkommission selbst miterlebt habe - die Schicksalsstunde, in der sich die Welt und die Kirche befinden, berechtigen uns, dem Konzil mit Vertrauen entgegenzusehen, selbst dann, wenn wir bloß natürliche Maßstäbe anlegen wollten.
Eine Illusion wäre es, vom Konzil die Lösung aller Fragen zu erwarten, fertige Rezepte und Gebrauchsanweisungen zu schaffen, mit denen plötzlich alle Not der Welt, alle Not und alle Bedrängnisse der Kirche beseitigt werden könnten. Das Konzil wird Weichen stellen für neue Entwicklungen, für die Entfaltung neuer, bisher ungeahnter oder ungenützter Kräfte zum Wohle der Kirche und zum Heile der Welt. Die Ziele aber, zu denen eine solche Weichenstellung führt, wird das Konzil selber nicht unmittelbar erreichen können.
Vertrauen ohne Überschwang ist vor allem den Erwartungen gegenüber am Platz, die sich auf die Vereinigung der getrennten Christenheit beziehen. Wir dürfen zuversichtlich hoffen, dass das künftige Konzil einen wichtigen Schritt in dieser Richtung tun wird. Dieser Schritt wird aber zunächst in der Beseitigung von Missverständnissen bestehen, in einer brüderlichen Begegnung, in dem Bestreben, einander besser kennenzulernen und besser zu verstehen, sowie in dem Bemühen, nicht das Trennende, sondern das Gemeinsame in den Vordergrund zu rücken. Eine Illusion wäre es, vom II. Vatikanischen Konzil bereits den Vollzug der tatsächlichen Wiedervereinigung zu erwarten. Was sich in Jahrhunderten auseinanderlebte, muss einander erst wieder näherkommen, und das ist, wie die Erfahrung des Alltags bestätigt, nicht im Handumdrehen möglich.
Realismus gebietet uns, das menschliche Antlitz der Kirche immer, auch bei diesem Konzil, in Rechnung zu stellen. Diese realistische Haltung darf aber nicht zu einer heillosen Skepsis führen, die die Meinung vertritt, wenn das Konzil zusammentritt, so ist mit dem großen Schaugepränge, mit der großen äußeren Demonstration schon alles entschieden und nichts mehr zu ändern. Der Apparat, so argwöhnt eine solche Skepsis, die römische Kurie also, werde sich schließlich stärker zeigen als alle Reformbestrebungen, stärker selbst als der Papst.
Als Mitglied der Zentralkommission und als Kardinal der Kirche muss ich Ihnen sagen, dass das Gegenteil der Fall ist: Bei Konzilsbeginn ist noch gar nichts entschieden und es sind noch alle Fragen offen. Das Konzil wird und kann keinem Problem und keiner Entscheidung aus dem Weg gehen. Wie bereits in den Kommissionen so wird auch beim Konzil selber offen und ehrlich um die Lösung der Fragen gerungen werden, die zur Debatte stehen. Die Zentralkommission, das kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung versichern, hat keinen vorgelegten Entwurf vorschnell aufgenommen, sie hat manches verworfen und sehr vieles geändert. Ich selbst bin Zeuge gewesen, wie sich manchmal die Meinungen hart gegenüberstanden. Wenn auch das Lateinische als Verhandlungssprache verbindliche Formen der Auseinandersetzung festlegte, so sind in der Sache selbst die Ansichten noch profilierter hervorgetreten.
Ich möchte nur hoffen und wünschen, dass in der Berichterstattung über das Konzil etwas von diesem ehrlichen Ringen und der offenen Aussprache zu spüren sein wird. Dann wird wohl das Interesse der Welt und das Interesse der Katholiken an diesem Konzil wach bleiben, selbst wenn es nach der feierlichen Eröffnung noch Monate dauernd wird. Man kann heute schon mit großer Wahrscheinlichkeit sagen, dass die erste Sitzungsperiode des Konzils wohl vor Weihnachten zu Ende gehen wird, dass aber im kommenden Jahr (oder in den kommenden Jahren) noch viele Monate vergehen werden, bis es zum Abschluss kommt. Zwischen den einzelnen Sessionen des Konzils werden manche Kommissionen noch weiter beraten. Die Zentralkommission oder ein ähnlicher Organismus wird vermutlich über das Konzil hinaus weiterbestehen, um gewissermaßen als ein beauftragtes Organ des Konzils über die vielen Schritte zu wachen, die im Anschluss und im Sinne des Konzils notwendig sein werden.
Die Kirche ist ein lebendiger Organismus. Sie steht in der Zeit und muss daher ständig an sich arbeiten, sich ständig erneuern, um das, was an ihr ewig ist - ihren Auftrag und ihre Lehre - aufs neue zu überdenken. Dann wird sie imstande sein, sich jederzeit und in jeder Kultur so mitzuteilen, dass sie von den Menschen jeder Kultur verstanden und angenommen wird. Auch das kommende Konzil wird ein Meilenstein sein auf dem Wege, den Christus seiner Kirche als Aufgabe gestellt hat.
Der Christ weiß, wie oft er im Bemühen versagt, seine Aufgabe getreu zu erfüllen. Er weiß auch, wie sehr die Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen nicht frei ist von menschlichen Unzulänglichkeiten und Schwächen. Er weiß aber auch um die Gnade Gottes, die den menschlichen Bemühungen zu Hilfe kommt.
In der Heilsgeschichte geht es immer wieder um die Seele des Einzelnen. Und nur über den einzelnen Menschen kann die Welt und das Menschengeschlecht gebessert werden. Die Sorge um den Menschen als Individuum und als Gemeinschaftswesen, um sein ewiges und zeitliches Wohl, wird daher auch die Sorge des Konzils sein. Es wird durch sein Bemühen auch der Welt neue Kräfte des Friedens und des einträchtigen Strebens zur Verfügung stellen. Es ist wohl kein Zufall, dass dieses Konzil von einem Papst einberufen und geleitet wird, der durch seine Menschlichkeit, seine Brüderlichkeit, sein weltweites Verstehen bei Katholiken und Nichtkatholiken bekannt ist und viele Sympathien geweckt hat. Wir dürfen alle hoffen, dass das II. Vatikanum nicht nur ein pastorales Konzil sein wird, sondern auch einen Schritt nach vorne bedeutet, um der Sehnsucht von dem einen Hirten und der einen Herde näher zu kommen.
zitiert nach: Wiener Diözesanblatt, 100. Jahrgang, Nr. 8, 1. August 1962 Druckansicht Zurück