Hoffnungen und Befürchtungen zum Konzil
Der Arbeitsgemeinschaft katholischer Journalisten möchte ich herzlich danken, dass sie mich aus dem heutigen festlichen Anlass eingeladen hat und mir die Möglichkeit gibt, über ein Anliegen zu sprechen, das mir als Bischof in der nächsten Nähe eines modernen "limes" und als Mitglied des Kardinalskollegiums besonders am Herzen liegt und von dem ich möchte, dass es auch Ihnen als Journalisten am Herzen liege: Ich meine das angekündigte zweite Vatikanische Konzil und dessen Bedeutung auch unabhängig von den Ergebnissen, die es bringen wird.
Erlauben Sie mir, dass ich angesichts der Bedeutsamkeit des in Vorbereitung befindlichen Ereignisses einiges berichte
- über das zu beobachtende Weltinteresse;
- über den Stand der Vorbereitungen;
- über die Dinge, die heute bei einem Konzil auf dem Spiele stehen;
- über eventuelle Mängel in der Vorbereitung und
- über die zu erwartenden Ergebnisse.
1. Es ist richtig, dass das Interesse am Konzil zurückgegangen zu sein scheint und daher die Berichterstattung mühevoller geworden ist. Es gibt dafür verschiedene Gründe:
a) Die mit der ersten Ankündigung gegebene Hochspannung und Erregung kann nicht lange durchgehalten werden.
b) Die Erwartungen der Weltöffentlichkeit und die Absicht des Papstes, wie sich immer mehr zeigt, lassen sich nicht auf einen Nenner bringen. Die Weltöffentlichkeit meinte, im kommenden zweiten Vatikanischen Konzil die Einigung der Christenheit als erstes und nächstes Ziel zu sehen. Der Papst aber spricht von mehreren Stufen und Etappen, die nicht auf einmal durch ein einziges Konzil genommen werden können. Zuerst muss sich die Kirche auf sich selbst besinnen, sich innerlich erneuern, menschliche Hindernisse beseitigen, um dann leichter und wesentlicher mit den getrennten Brüdern sprechen zu können.
c) Eine Abnahme des Interesses ist aber nicht überall festzustellen. Auffallend ist, dass es innerhalb der Kirche mehr der Fall ist als außerhalb. Vielleicht kommt es auch daher, dass viele Katholiken selber die Tragweite einer solchen Kirchenversammlung noch nicht ganz erfasst haben.
d) Von den Orthodoxen hingegen kann man sagen, dass sie mit einer freundlichen Kritik und in einem so großen Umfang die Entwicklung der Dinge verfolgen, sodass sie, rein materiell gesehen, meist über die katholische Beschäftigung mit den Konzilsfragen hinausgehen. Auf seiten der Anglikaner und Protestanten ist eine größere Zurückhaltung und Reserve festzustellen, obwohl die ausgelösten Diskussionen sehr große Wellen geschlagen haben und das Interesse anhält. Der Besuch des eben zurückgetretenen anglikanischen Erzbischofs von Canterbury in Rom hat über den Kreis der anglikanischen Kirche hinaus größtes Aufsehen erregt und die Aufmerksamkeit selber wiederum in ganz starkem Maße auf das Konzil gelenkt. Außerhalb der Christenheit lässt sich im Bereich der großen Weltreligionen bis jetzt keine nennenswerte Spur von Interesse erkennen.
2. Die Vorbereitungen auf das Konzil sind bereits in vollem Gange: Zehn Kommissionen und zwei Sekretariate arbeiten mit etwa 700 Mitgliedern und Konsultoren aus der ganzen Welt seit Ende des letzten Jahres an den ihnen gestellten Aufgaben. Zum ersten Mal in der Geschichte der Kirche ist ein eigenes Sekretariat eingerichtet für die Einigung der Christen. Gegenüber den früheren Konzilien darf heute schon gesagt werden, dass die Art der Vorbereitung wie die Art der Einberufung neu ist. Wichtig ist auch die Feststellung, dass diese vorbereitenden Körperschaften vollkommen verschieden und unabhängig sind von den vatikanischen Kongregationen. Aus persönlichen Berichten weiß ich, dass eine Anzahl der Experten in den vorbereitenden Kommissionen fast ausschließlich für das Konzil arbeitet. Sie werden vom Papst mit großem Optimismus und Eifer angespornt.
Die nach Rom gereisten Berichterstatter der "Informationes Catholiques Internationales" (1961 S.7) sprechen von einem Enthousiasme communicatif, von einer herzlichen Atmosphäre des Vertrauens und der Offenheit. Man könnte alles sagen und über alles sprechen.
Gegenüber den Vorbereitungen auf das erste Vatikanische Konzil im Jahre 1868/70 besteht ein sehr bedeutsamer Unterschied. Damals rief die Ankündigung eine tief greifende Bewegung der Geister hervor, wie sie die Geschichte nur selten zu verzeichnen hat. Auf der einen Seite war es Freude und Hoffnung, auf der anderen Seite zeigte sich Unbehagen, Furcht, Argwohn und Zorn. Gleichgültig sind nur wenige geblieben. Innerhalb der katholischen Kirche selber zeigten sich tiefe Gegensätze und die Schriften, die damals zum Konzil erschienen, waren innerhalb kurzer Zeit unübersehbar.
Heute ist die Situation eine ganz andere: Die katholische Christenheit ist einheitlich und geschlossen für das Konzil, die Staatsregierungen halten sich wohlwollend neutral. Gegenkräfte sind kaum spürbar. Angesichts der in Bewegung geratenen großen Weltreligionen, angesichts der eins werdenden Welt wird aber heute besonders die Zerrissenheit der Christen als ein schweres Ärgernis empfunden, wie es uns Professor Ohm in seiner Veröffentlichung "Asiens Kritik am abendländischen Christentum" gezeigt hat. Die Herausforderung der gesamten Christenheit durch den Kommunismus, die gemeinsame christliche Abwehrfront gegen gemeinsame Feinde, die Zersetzungsgefahr der Sekten lassen den Blick, die Sehnsucht nach der verloren gegangenen Einheit stärker hervortreten und im kommenden Konzil ein großes Zeichen der Hoffnung sehen.
3. Was steht bei dem zweiten Vatikanischen Konzil auf dem Spiele? H. Küng, ein Schweizer Theologe, der nach seinen Studien an der Gregoriana in Rom mit 32 Jahren schon einen Lehrstuhl an der theologischen Fakultät in Tübingen innehat und der ein ausgezeichnetes Buch über das Konzil und die Wiedervereinigung geschrieben hat, meint: "Das Konzil wird entweder die Erfüllung einer großen Hoffnung oder eine große Enttäuschung sein".
Dass es eine große Enttäuschung werden könnte, kann und will ich nicht glauben. Selbst wenn es gar nicht zur formellen Abhaltung der ökumenischen Versammlung käme, so wären die vielen Diskussionen, Tagungen, Begegnungen, Veröffentlichungen, die durch die Ankündigung ausgelöst oder verstärkt worden sind, allein schon ein großer Erfolg.
Hochgespannte Erwartungen zu erfüllen, ist immer schwer. Das Konzil wird sie nicht alle erfüllen können, vor allem nicht auf einmal erfüllen können. Aber alle Anzeichen, die Art und Weise der Vorbereitung, besonders die liebenswürdige und initiative Persönlichkeit eines Johannes XXIII., sprechen dafür, dass auch der Abschluss des Konzils kein Ende, sondern die erste Stufe einer neuen weitreichenden Entwicklung auf das ersehnte Ziel der christlichen Zusammenarbeit und Trachten nach Einheit sein wird.
Es steht ohne Zweifel sehr viel auf dem Spiel für die katholische Kirche wie für die getrennten Brüder, die den Namen Christi tragen. Es handelt sich dabei nicht so sehr um das Prestige, um die Weltgeltung der Kirche. Es geht um Dinge, die nicht nur für den gläubigen Christen, sondern auch für den Ungläubigen, für jedermann interessant sein müssen:
In einer Welt, in der ein Eiserner Vorhang die zerrissene und gespaltene Welt symbolisiert, sind alle Kräfte ein Segen - wo immer sie herkommen mögen - die imstande sind, rassische, staatspolitische, nationale Gegensätze zu überbrücken, miteinander zu versöhnen. Das zweite Vatikanische Konzil wird wohl auch zeigen, dass in der katholischen Kirche, in der gesamten Christenheit die zu wenig beachteten Kräfte schlummern, solche Gegensätze und Spannungen zu lösen, die kein Philosoph, kein Techniker oder Soziologe auflösen kann. Der Eucharistische Weltkongress in München war wohl ein Beispiel hierfür.
Der Glaube an Jesus den Herrn und die Verbundenheit mit seiner Kirche ist eine geistige Macht, die den Frieden unter den Völkern stiftet, den Menschen in seiner Freiheit und Würde beschützt. Diese Dinge gehören zwar nicht zum Programm des Konzils, aber sie werden und sollen eine eindrucksvolle Manifestation des Konzils sein.
4. Schließlich stellen wir noch die Frage: Zeigen sich Mängel im jetzigen Vorbereitungsstadium, die später das Konzil belasten und behindern werden?
Dies ist eine sehr große und ernste Sorge vieler Katholiken. Bis jetzt ist wohl noch alles offen und alles möglich. Aber es könnte vielleicht nicht an Kräften fehlen, es könnten Einflussnahmen sichtbar werden, die den Gang der Dinge nach ihren etwas zu engen menschlichen Wünschen lenken wollen. Möglich wäre es, dass einzelne Kommissionen durch ihre Arbeitsweise und Organisation die Richtung und Arbeitsweise des Konzils beengen und beeinflussen könnten. Ob das tatsächlich der Fall ist, kann erst später beurteilt werden. Es ist die Sorge vieler, dass in dieser Hinsicht eine solche Beeinflussung nicht geschehe.
Eine offizielle Einschaltung der Laien, besonders der großen katholischen internationalen Organisationen, möchte ich noch wünschen, denn sie repräsentieren heute den weltlichen Arm der Kirche. Daher hielte ich es für zweckmäßig, dass sie in einer noch zu bestimmenden offiziellen Form in der Vorbereitung vertreten sind.
5. Welche Ergebnisse sind zu erwarten?
Aufgrund der Vorschläge der Bischöfe und aller übrigen, die gefragt worden sind, dürften die Ergebnisse in folgender Richtung zu erwarten sein: a) Die Aufwertung des Bischofsamtes, ohne damit das Recht des Petrusamtes beschneiden zu wollen, ist ein von allen Seiten geäußerter Wunsch; denn die von Christus festgelegte Kirchenverfassung ist petrinisch und apostolisch. Damit wird auch den interdiözesanen Arbeiten und Plänen, den nationalen Bischofskonferenzen eine größere Bedeutung zukommen als bisher. Rom selbst hat im Falle von Südamerika auf eine sogenannte kontinentale Bischofskonferenz gedrängt. Damit hängt zusammen eine stärkere Betonung des Subsidiaritätsprinzips in der Kirche, das heißt, keine Vermehrung der Zentralisierung, sondern Betonung der Dezentralisation.
b) Davon dürfte sich ableiten eine größere Weitherzigkeit in der Liturgie und der Sprache.
c) Eine Reform des Kirchenrechtes, des Index und der Bußpraxis.
d) Eine Intensivierung der Seelsorge durch eine weiträumige geplante Verteilung des Klerus.
e) Eine stärkere Ausarbeitung des Laienrechtes.
Erst aufgrund einer Kirchenreform, wie wir sie heute in etwa vermuten können, ist nach der Meinung des Papstes die Vorstufe, um ein besseres und wesentlicheres Gespräch mit unseren getrennten Brüdern führen zu können.
Die römische Kirche erlebt zur Zeit eine Periode der theologischen und liturgischen Blüte, wie uns der orthodoxe Theologe Georg Florovsky bestätigt (UNA SANCTA XIV 1959, S.173f). Aber diese neue Bewegung, Symptom und Unterpfand der lebendigen und schöpferischen Tätigkeit, hat bei weitem noch nicht die ganze Kirche erfasst und ist noch nicht in alle ihre Schichten eingedrungen. Die Konzilsvorbereitung soll, um nochmals auf den Wunsch des Orthodoxen hinzuweisen, theologisch leidenschaftslos und parteilos sein, was leider von der Vorbereitung beim ersten Vatikanischen Konzil nicht gesagt werden kann. Es ist zu wünschen, dass die vorbereitenden Arbeiten für das Konzil auf das Niveau des gegenwärtigen theologischen Denkens innerhalb der römischen Kirche gebracht werden. Die Vielgestaltigkeit und die ganze Spannkraft dieses Denkens und die geistlichen Erfahrungen, sogar außerhalb der römischen Kirche, sollten mit weisem Spürsinn bei den Vorbereitungsarbeiten einkalkuliert werden.
Was aus dem Konzil wird, liegt letztlich in Gottes Hand. Der Katholik weiß aber, dass das Vertrauen in Gottes Führung ihn nicht davon entbindet, selber tätig zu sein und selber seine Mitarbeit zu leisten. Die Ziele des Konzils werden jetzt in der Zeit der Vorbereitung gesteckt. Darum ist das, was jetzt geschieht oder nicht geschieht, so bedeutsam.
Das Konzil scheint nach außen hin eine Sache des Papstes und der Bischöfe zu sein; in Wirklichkeit ist es eine Angelegenheit der gesamten katholischen Kirche, das heißt aller Gläubigen. Dass es dies wird, und dass es von den Gläubigen, den Christen, als solches empfunden wird, auch von denen, die keine theologischen Zeitschriften lesen, wird in einem sehr wesentlichen Maße von Ihnen, von den katholischen Journalisten abhängen. Ich denke dabei gerade an diejenigen, die nicht in der katholischen, in der kirchlichen Presse tätig sind. Katholischer Journalist ist man überall, bei welcher Zeitung immer Sie arbeiten, welche Sparte immer Sie betreuen; die Funktion des katholischen Journalisten ist es, das öffentliche Gewissen, nicht zuletzt auch das mahnende Gewissen der Katholiken zu sein.
Wenn Sie etwas über das Konzil zu sagen haben, dann warten Sie nicht auf den Bischof, nicht auf eine Nachricht aus Rom, mahnen Sie, wo sie glauben, mahnen zu müssen; drängen Sie, wo Sie glauben, drängen zu müssen, informieren Sie, wo immer sich eine Gelegenheit bietet, die Welt und die Katholiken über das Konzil zu informieren. Wenn Sie die Sache des Konzils zu der Ihren machen, dann erst wird das Konzil zum Anliegen der Kirche und der ganzen Christenheit. Berichten Sie aber auch über alles, was das Volk und die Gläubigen vom Konzil erwarten. Dann wird das, was als Hoffnung begann, nicht eine Enttäuschung, sondern eine große Erfüllung werden.