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Die Unruhe in der Kirche. Autorität, Freiheit, Einheit nach dem Konzil

Artikel von Kardinal König im "spectrum" Weihnachtsbeilage der Presse, 24. Dezember 1968

Die vom Zweiten Vatikanischen Konzil eingeleitete Erneuerungsbewegung hat ein weltweites Echo gefunden, zugleich aber auch eine Eigendynamik angenommen, die nicht wenige Sorgen hervorruft, und zwar weit über die Katholiken hinaus. Sind aber die Hoffnungen, die sich auf die vom Konzil ausgehenden Bewegungen gründeten, deswegen enttäuscht? Besteht Grund zu Pessimismus? Keineswegs. Denn jeder, der sich etwas mit der Lebensgeschichte der Kirche befasst hat, kennt auch die immer wieder auftretende Erscheinung, dass das Neue zunächst einmal aufbricht, großes Aufsehen macht, in seinem Neuigkeitsanspruch überbordet, dadurch Gegenkräfte weckt und so erst jene Dialektik des Lebensprozesses in Gang setzt, aus der der geschichtliche Gestaltwandel hervorgeht. Schon 1965 war vorauszusehen, dass nun erst die Absichten der Väter in ihre Bewährungsprobe eintreten würden. Manche vermuteten schon damals, dass sich etwa ein Jahrfünft später der kritische Moment einstellen würde.

 

Wenn auch die Geschichte ihr eigenes Lebensgesetz hat, so darf man darüber nicht außer acht lassen, dass es Männer und Ideen sind, die am Gang der Ereignisse wesentlichen Anteil haben. Jedenfalls kann das nicht heißen, den Ernst jüngster Entwicklungen innerhalb der Kirche zu unterschätzen - einen Ernst, auf den in den letzten Monaten und Wochen der Heilige Vater mit immer größerem Nachdruck hingewiesen hat. Andererseits ist wieder im Katholizismus verschiedener Länder wachsende Besorgnis zu bemerken, das Konzil könnte sozusagen um seine Früchte gebracht werden, das Beharrungsvermögen des Bestehenden sei so groß, dass es die Erneuerung nicht über einige Ansätze hinaus gedeihen lassen werde. Der Papst spricht immer wieder von der Gefahr destruktiver Kräfte, wobei man nicht vergessen darf, dass der Heilige Vater aus der Sicht der Weltebene spricht. Dass manches trotzdem auch österreichische Verhältnisse betrifft, kann aber niemand leugnen. Es handelt sich um eine Krise der Autorität, wie sie der Papst schon in seiner Botschaft an den deutschen Katholikentag beim Namen genannt hat: "Nicht wenige nehmen heute für sich die Freiheit in Anspruch, ihre rein persönlichen Ansichten mit jener Autorität kundzutun, die sie offensichtlich dem streitig machen, der von Gott dieses Charisma besitzt. Man möchte gern erlaubt wissen, dass jeder in der Kirche meinen und glauben kann, was ihm beliebt."

 

Gewisse publizistische Reaktionen auf die Enzyklika "Humanae vitae", die im Zeitalter der Massenmedien noch multipliziert wurden - aber keineswegs identisch sind mit der Vorsicht in medizinischen Diskussionen -, ein respektloser, ja geradezu herausfordernder Ton, der nicht selten im Umgang mit der Hierarchie zu vernehmen ist, schmerzliche Ereignisse im Weltklerus und nicht zuletzt in den Orden, deren sich lustvoll die Schlagzeilen bemächtigen, ja ein richtiger "antirömischer Affekt" geben den Hintergrund zu den Äußerungen des Papstes. Natürlich melden sich auch kritische Stimmen, dass die vom Konzil so bekräftigte Kollegialität aller Bischöfe als Apostelnachfolger in der Kirche noch zu wenig lebendige Wirklichkeit geworden sei. Oder, so wird lautstark von manchen gefragt, was bedeute die vom Heiligen Vater mit Nachdruck betriebene Reform der römischen Kurie, wenn ihr Geist doch nur der alte bleiben sollte. Und was sollten alle guten Worte über den Laien, wenn ihm, wie etwa beim Weltlaienkongreß in Rom oder bei anderen Gelegenheiten, praktisch, wie man behauptet, das Wort entzogen werde? So rufen radikal Gesinnte geradezu nach einem Umbau der katholischen Kirche nach Art einer westlichen Demokratie, und zwar noch über das menschliche Element der Kirche hinaus, selbst für den Bereich des geoffenbarten und daher unveränderlichen Erbes; sie rufen nach einem "Vaticanum III", um den Freiheitsrechten des einzelnen gebührenden Respekt zu verschaffen.

 

Das von Papst Johannes XXIII. mit solcher Kühnheit ins Leben gerufene Konzil, das dann über alle Fährnisse hinweg von seinem Nachfolger Papst Paul VI. zu einem guten Ende geführt wurde, hat das Programm einer Erneuerung der Kirche an Haupt und Gliedern verkündet - einer grundlegenden Reform, aber gewiss keiner Revolution. Nicht der Bruch mit der Vergangenheit, sondern eine den modernen Zeiten gemäße Weiterentwicklung des auf dem Lebensweg der Kirche erworbenen Erbes, eine Zuwendung zur Welt, aber nicht eine Verweltlichung waren die Intentionen, wie sie aus den vom Konzil verabschiedeten Dokumenten hervorgehen und jedermann auch in handlichen Ausgaben einsichtig sind (Karl Rahner, Herbert Vorgrimler: Kleines Konzilskompendium, Herder 1968).

 

Nun ist, wie schon allein die Geschichte des Tridentinums lehrt, ein Konzil in gewisser Hinsicht ein Abschluss, weit mehr aber noch ein Anfang. Es beginnt sich erst nach seinem formellen Ende zu entwickeln, sich in mannigfaltige Auseinandersetzungen, in einem Widerspiel vieler Kräfte, die einmal in dieser, einmal in jener Kombination auftreten, durchzusetzen; es ist, noch dazu an einer solchen Wendezeit der Welt schmerzhaft wie eine Geburt.

 

Dabei macht sich aber freilich auch vieles bemerkbar, das mit dem unmittelbar nichts mehr zu tun hat, was die Erneuerung der Kirche und die Verdeutlichung des katholischen Glaubens angeht. Die Kirche hat allzulange, wenn auch historisch verständlich, wie in einem Ghetto gelebt. Sie war damals, in der Verteidigung gegen die Moderne, gezwungen, sich auf sich selbst zurückzuziehen, und in diesem Zustand sind wie von selbst Autorität, Disziplin und Zentralismus überbetont worden. Nun, da die Kirche sich öffnet, da das Konzil einen ungeheuren Öffnungs- und Begegnungsvorgang eingeleitet hat, dringt vieles, in Jahrhunderten Aufgestautes chaotisch nach oben und schafft die Gefahr von Dammbrüchen. Irrationale Kräfte, die sich aber durchaus rationaler moderner Vokabel bedienen, drohen alles mitzureißen, Affekte und Ressentiments glauben ihre Stunde gekommen. Das theologische Schlagwort und die Meinung, das Neueste sei auch immer das Richtige, beherrschen den Vordergrund der Szene. Der mutige, entschlossene Aufbruch in eine neue Zeit gerät auf diese Weise durcheinander, ein unberatener, zuweilen geradezu jakobinischer Progressismus macht sich - ungewollt, aber nach dem Prinzip, wonach Extreme sich anziehen - zum Verbündeten des Beharrenden, beide zusammen drohen der Konzilsbewegung den Weg in die Zukunft abzuschneiden.

 

Die einen, weil sie dem Konzil Absichten unterschieben, die es nicht hatte, weil ihre Kirchen- und Glaubensvorstellungen in manchen seltenen Fällen gar nicht mehr die der Kirche und des Christentums sind, weil sie in ihrem Radikalismus tabula rasa machen möchten und damit nur zerstören, statt aufzubauen; die anderen, weil sie unter Hinweis auf den Extremismus dieser oder jener kleinen, wenn auch lärmenden Gruppe, auf unerfreuliche Zwischenfälle oder eine opportunistische Manipulierung mit dem Glaubensgut das nur als Vorwand nehmen möchten, um am liebsten das Konzil zu widerrufen und in die scheinbare Sicherheit der alten Festung zurückkehren zu können. Sie sehen, worauf schon Papst Johannes XXIII. bei Eröffnung des Konzils hingewiesen hatte, nur die Gefahren, es fehlt ihnen ein vom Glauben inspirierter Optimismus, sie erfassen nicht den Zwang für jedes geschichtliche Lebewesen - und die Kirche ist ihrer zeitlichen Existenz nach den gleichen Gesetzen unterworfen -, sich verändern zu müssen. Auch wenn das bedeutet, sich der Säkularisierung konfrontiert zu sehen, die auf viele Weise auf die Kirche eindringt, sie schon längst erfasst hat, wenn das der äußere Anschein einer Acies ordinata auch bisher nicht zugeben wollte.

 

In einer Diskussion mit dem Kirchenhistoriker Hubert Jedin fiel vor einiger Zeit das Wort, es sei ein Mangel des Konzils gewesen, dass es zwar das Aggiornamento, die Erneuerung der Kirche in der Begegnung mit der modernen Welt, proklamiert, aber keinen verbindlichen Maßstab dafür angegeben habe. Nicht zuletzt das sei dafür verantwortlich zu machen, dass bestimmte Kräfte versuchten, von der Reform zu einer Revolution, also einem Umsturz der durch Glaube und Tradition - nicht etwa bloß durch Traditionalismus - gegebenen Verhältnisse in der Kirche vorzustoßen. Aber stimmt das? Natürlich ist vieles im Unentschiedenen geblieben, ein Konzil ist ja, wie gesagt, ein Anfang, es haben sich auch mancherlei Hoffnungen damit verknüpft, die weder die des Konzils noch des allgemeinen Glaubensbewusstseins waren, aber die Väter haben sich doch feierlich zu jenem Glauben bekannt, so wie er sich von den Tagen Jesu Christi über die Apostel bis heute, inspiriert durch den Heiligen Geist, entwickelt hat und das eigentliche Lebensgeheimnis der Kirche darstellt.

 

Trotz der diffizilen Probleme, die sich heute Bibelwissenschaft und Theologie stellen, trotz der notwendigen Weiterentwicklung vieler Begriffe, trotz der neuen Bewusstseinsstufe auch im Glaubensleben, trotz der so radikal veränderten Lebensbedingungen, hat sich damit nichts an dem geändert, was das Evangelium der Menschheit an Heilsverheißung gebracht hat. Dieses Evangelium ist der Richter der Kirche und jedes einzelnen Christen. Und die Bischöfe und im besonderen der Bischof von Rom als der Inhaber des Petrusamtes sind berufen, dafür Zeugnis zu geben, wie es in der dogmatischen Konstitution des Konzils "Lumen Gentium", heißt: "Damit aber der Episkopat selbst einig und ungeteilt sei, hat er den heiligen Petrus an die Spitze der übrigen Apostel gestellt und in ihm ein immerwährendes und sichtbares Prinzip und Fundament der Glaubenseinheit und der Gemeinschaft eingesetzt" (18).

 

In den gegenwärtigen Schwierigkeiten der Kirche überlagern sich verschiedene Vorgänge und steigern sich so wechselseitig in ihrer Wucht. Die Reformbewegung trifft zusammen mit einem durch die Industrie- und Konsumgesellschaft sich rasch ausbreitenden Säkularismus. Dessen geistige Leere und die Inflation der traditionellen Werte wecken im Schoß dieser Industriegesellschaften unter Teilen der Jugend radikale Strömungen, die prinzipiell jeder solchen Autorität absagen und eine neue Welt von einem Amalgam aus Ideen erträumen, die Karl Marx, Sigmund Freud, Herbert Marcuse und Mao Tse-tung sowie den anarchistischen Klassikern entnommen sind. Dazu kommt unter katholischen Intellektuellen gelegentlich ein gewisser Minderwertigkeitskomplex aus dem "cultural lag", der nun umso heftiger nach dem Modernsten des jeweils Modernen aus ist, um sich selbst als vollwertig zu beweisen, und der den Eindruck entstehen lässt, als wäre die bisherige Kirchengeschichte im Grunde nur die Anhäufung eines einzigen Rückstandes gewesen.

 

Weiters überkreuzen sich als Vorgänge die ökumenische Tendenz zu immer größerer Einheit der christlichen Kirchen mit den gleichzeitig in diesen Kirchen auftretenden Parteiungen und nationalistischen, zentrifugalen Reaktionen, wie sie auch im internationalen Leben zu beobachten sind. Es überkreuzen sich die Tendenzen, die unter Christentum vor allem soziales Engagement verstehen, also die Verpflichtung, für die Armen und Entrechteten einzutreten, ja für sie zu kämpfen (bis hin zu einer "Theologie der Gewalt", die das zentrale Mysterium des leidenden Gottesknechtes ignoriert), mit solchen, die gerade in der Veräußerlichung und Außengelenktheit des Lebens in der technischen Welt wieder jenen Glauben zu suchen beginnen, der die Welt überwindet, die Stille, in der Gott zum Menschen spricht. Diese Vielfalt von vorwärtsdrängenden und retardierenden Kräften, von Wünschen, Hoffnungen, ja Utopien schafft die Gefahr, das Aggiornamento misszuverstehen, statt der Einwurzelung der Kirche in der Welt von heute, um auch dem Menschen von heute näher zu sein, die Kirche einer Verweltlichung auszuliefern, die sie dessen berauben müßte, was doch auch ihr göttlicher Sinn ist: nämlich ein Zeichen des Widerspruches zu sein, nicht eine Art seelsorgerischer Beitrag zu einem allgemeinen, stumpfsinnigen Konformismus auf Basis industrieller Massenproduktion.

 

So gesehen, heißt ihre Autorität daher, dass das Reich Gottes das ganz Andere ist, der Widerspruch zu einer im Argen liegenden "bösen Welt", Freiheit, dass dieses Reich Gottes schon hier und jetzt unter uns ist, dass es erobert werden muss, dass es auszubreiten ist. Nur in dieser Spannung zwischen Autorität und Freiheit vermag die Kirche in ein neues Zeitalter hineinzuwachsen. Gäbe sie diese Spannung zugunsten bloßer Autorität auf, würde sie traditionalistisch erstarren, sich immer mehr abkapseln, und gerade das verweigern, was sie sein soll, nämlich Same, der stirbt, um gute Frucht zu bringen. Gäbe die Kirche die Spannung zugunsten der Freiheit auf, würde sie von der Welt verschlungen werden, hörte sie auf, das "Salz der Erde" zu sein, der ständige "Herausruf", als welchen sich die Ecclesia seit den Tagen der Apostel verstand. Nie darf das soziale Engagement ihrer Glieder vergessen lassen, dass ihr Herr und Erlöser weltlich gescheitert ist, ein Hingerichteter zwischen zwei Verbrechern. Nie darf die Kirche vergessen lassen, dass sie um der Menschen willen da ist, jener vor allem, die ihrer am meisten bedürfen, der Armen, der Verfolgten, der Trauernden, der Verzweifelnden, nicht aber etwa dazu, dieser oder jener gesellschaftlichen Gruppe eine religiöse Rechtfertigung für ihren Machtanspruch zu liefern. Das Aggiornamento des Konzils vermag sich also nur der ganz verständlich zu machen, der das Wort des Apostels dazuhält: "Macht euch dieser Welt nicht gleichförmig" (Röm 12,2).

 

Eben weil der Gärungsprozess, den das Konzil ausgelöst hat, unvermeidlich scheint, tritt die Bedeutung des Lehramtes heute umso stärker hervor. Wer geschichtlich denkt, weiß, wie schwer sich und unter welchen Opfern und Verlusten die Kirche immer wieder ihre Einheit erringen musste. Diese Einheit ist im übrigen Voraussetzung für das, was gerade der postkonziliare Katholizismus wünscht, nämlich die gesellschaftliche Verpflichtung des Christen bewusst und fruchtbar zu machen. Was wäre von einem solchen Engagement zu halten, ja wäre es nicht von vornherein zum Misserfolg verurteilt, würden die Katholiken nicht ein Mindestmaß an Einheit in Glaube und Tun bewahren? Diese Einheit kann gewiss keine mechanische sein, sie muss vielmehr eine sein, die in sich selbst reich gegliedert ist und durchaus einem innerkirchlichen Pluralismus sich zu entwickeln gestattet. Das wird sich umso leichter erreichen lassen, wenn man von Anfang an Missverständnisse, aber auch Suggestionen verabschiedet, die in völliger Verkennung der Natur der Kirche diese in der Spätphase der bürgerlichen Demokratie wie in einem Nachziehverfahren ihr gleich gestalten und sogar das Lehramt so verstehen, als hätte dieses eben im Grunde nur der jeweiligen "Mehrheit" Ausdruck zu verleihen.

 

Um aber die Spannung zwischen Autorität und Freiheit schöpferisch zu machen, wird auch die Kirche selbst sich in vielem dem anpassen müssen, was die neue Zeit erfordert - weil diese Zeit neue Voraussetzungen geschaffen hat. Die Ausübung der Autorität muss auf sie Rücksicht nehmen, sie muss sich des Wissens und des Rates all derer bedienen, die am Leben der Kirche Anteil nehmen, sie muss offensein für die Verschiedenheit der Gesichtspunkte und manchmal auch Interessen. Sie muss vor allem in jeder Diözese wie im Gesamtbereich der Weltkirche zwischen Peripherie und Zentrum ein Näheverhältnis herstellen, wie es die heutige Technik erleichtert und wofür es geeignete Organe und klare Kompetenzen zu schaffen gibt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Gläubigen nicht mehr die "Schäflein" von einst sind, dass also der Bildungs- und Bewusstseinsstand der Katholiken, mit dem man rechnen muss, ein anderer ist, als ihn Gedankenführung und Stil früherer kirchlicher Enunziationen annehmen konnten.

 

Autorität ausüben, heißt also auch, mit der Kollegialität und Subsidiarität innerhalb der Kirche selbst ernst zu machen, dabei aber vor allem darauf ein Auge zu haben, dass sich nicht unter dem Stichwort "Mündigkeit der Laien" eine neue Gruppe von Berufskatholiken bildet, die - fast ein Pendant zur bisherigen Abschließung des Klerus erst recht alle anderen Katholiken an den Rand des kirchlichen Lebens drängen müsste. Unter Berufung auf diese Mündigkeit sind zwar Vereinzelte schon der Meinung, dass eine kollegiale Leitung der Pfarrgemeinde den Pfarrer in letzter Konsequenz, in eine Sekretärsstelle versetzen müsste, dass solche Gedanken aber nicht die des Konzils sind, ergibt sich aus der Stelle: "In vorzüglicher Weise sind aber die Pfarrer Mitarbeiter des Bischofs. Ihnen wird als eigentlichen Hirten die Seelsorge in einem bestimmten Teil der Diözese unter der Autorität des Bischofs anvertraut" (Christus Dominus, 30).

 

Auch wenn man heute viel von einem "Aufstand gegen den Vater", von einer "vaterlosen Gesellschaft" der Zukunft spricht, wenn man mit dem Stichwort "Brüderlichkeit" diese gegen die Väterlichkeit ausspielen will, es ändert wenig daran, dass auch die Kirche von morgen und vor allem die Menschen von morgen väterlich angesprochen sein wollen, dass sie nichts von einem geistlichen Generalmanager erwarten und auch von intellektueller Brillanz kaum getröstet werden dürften. Sie erwarten vielmehr jemanden, der ihr Leben teilt, der sie versteht, der ihre Sprache spricht. Und einem solchen hilft das alles, die Autorität des Amtes mit der der priesterlichen Persönlichkeit zu verbinden.

 

Wer heute die Autorität gegen die Freiheit oder die Freiheit gegen die Autorität ausspielen will, muss sich darüber Rechenschaft geben, dass er dann im Grund gar nicht jene Erneuerung der Kirche will, die das Konzil in Gang gesetzt hat. Vor allem unterschlägt er dabei eines, dass nämlich nichts die Radikalität des Glaubens an Jesus Christus und die Erlösung, die er der Welt gebracht hat, zu überholen vermag. Nicht wenige Radikalismen da und dort, in der Theologie wie in gewissen Pastoralvorstellungen, in der Übernahme politischer und gesellschaftlicher Leitbilder, die indessen selbst in ihrer Umwelt in eine Krise geraten sind, mögen solchen Ersatzleistungen entspringen. Aber steht es mit jenen viel anders, die ihre Zuflucht nur in einer Rückkehr zur Acies ordinata, zur nachtridentinischen Kirche erblicken? Spricht das etwa für die Stärke ihres Glaubens, für die Gewissheit des immerwährenden Beistandes des Heiligen Geistes?

 

Eine kritische Prüfung der heutigen Situation der Kirche in dieser Phase der nachkonziliaren Bewegung zeigt den Zusammenhang widersprechendster Phänomene in dem einen, dass die Christen ihren Glauben neu und tiefer verstehen lernen müssen, um zustande zu bringen, was menschlichem Bemühen allein - Soziologie, Psychologie, Wissenschaft im allgemeinen wie auch sozialem Engagement - verwehrt ist. Gott muss diesem Geschlecht wieder wie die Sonne aufgehen, um ihm den Tag zu erhellen, die Finsternisse, Zweifel und Affekte zu vertreiben und dem Menschen Maß und Mitte zurückzugeben.

 

Vielleicht geht die Kirche inmitten dieses ungeheuren Aggiornamento mit seinen Krisenerscheinungen einem solchen Wiederergreifen des Glaubens entgegen, vielleicht liegt hier der Schlüssel zum Verstehen dessen, was inmitten des Säkularismus und der schockierenden Rufe "Gott ist tot!" unter den Christen tatsächlich vor sich geht. Die Auseinandersetzungen zwischen Autorität und Freiheit wären dann nur der vordergründige Aspekt einer viel tieferen Entscheidung, die von jedem einzelnen, von den Gemeinden und Kirchen zu treffen ist: sich in dem lebendigen Glauben an den lebendigen Gott zugleich auch jener Einheit zu vergewissern, die inmitten der vielfältigen Spannungen und Widersprüche die Kirche über die ganze Welt hin zu einem einzigen Organismus zusammenschließt, in dem nicht ein Glied über das andere triumphiert, sondern alle einander und den Mitmenschen dienen. Wie, wenn man daran die Christen wieder zu erkennen vermöchte?

 

Man hat von einer "anthropologischen Wende" gesprochen, die das Konzil mit sich gebracht habe und die die bisherige Theozentrik ablöse. In der Heilsökonomie mag indes auch das nur ein Pendelschlag sein, um in einem schmerzlichen, krisenhaften Neuwerden die Kirche unter den Menschen wieder die Ehre Gottes bezeugen zu lassen. Wer erinnert sich nicht der Worte Gamaliels vor dem Hohen Rat, von denen die Apostelgeschichte berichtet? " Stehet ab von diesen Menschen, und lasset sie; denn wenn dieser Ratschluss oder dieses Werk von Menschen ist, so wird es zerfallen; wenn es aber von Gott ist, so könnt ihr es nicht zerstören" (Apg 5,38-39). Auch das, was heute in und mit der Kirche vor sich geht, ist im Licht dieser Worte zu verstehen. Was man "anthropologische Wende" nennt, muss am Ende dazu führen, dass Gott größer in allem wird: als Schöpfer, Erlöser, Vollender.

 

Jedes Weihnachten erinnert daran, womit die Erlösung beginnt: Gott nämlich die Ehre zu erweisen.

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Artikel von Kardinal König im "spectrum" Weihnachtsbeilage der Presse, 24. Dezember 1968


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