Johannes Paul II. und die Umgestaltung Europas
Als im Sommer 1978, nach dem Tode Johannes Pauls I., die Teilnehmer am kommenden Konklave sich für die Wahl eines neuen Papstes rüsteten, hatte wohl niemand die Vermutung, daß es ein Papst aus dem damaligen Ostblock sein könnte. Im Vordergrund stand vielmehr die Frage: Wird der neue Papst aus Italien oder aus einem anderen Lande kommen? Vieles sprach auch damals für die alte Tradition der römisch-katholischen Kirche.
Die Wahl des Erzbischofs von Krakau aus Polen war eine Sensation, für Rom und für die ganze Welt. In den ersten Wochen konnte man oft die Frage hören: Was bedeutet die Wahl eines Papstes aus einem Warschauer-Pakt-Staat für das Verhältnis von Ost- und Westeuropa, für den Kommunismus?
Heute, nach dem lautlosen und unerwartet raschen Zusammenbruch des Kommunismus kann man wieder die Frage hören: Welchen Einfluß hatte Johannes Paul II. auf den plötzlichen Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums? Er hatte ohne Zweifel einen großen Einfluß. Eine genauere Analyse der indirekten und direkten Zusammenhänge wird erst im Laufe der Jahre möglich sein.
Die Ursachen des Zusammenbruches jenes kommunistischen Imperiums, das damals noch von langer Dauer zu sein schien, kamen zum Teil von innen, zum Teil von außen. Die Einflüsse von außen - abgesehen vom falschen Welt- und Menschenbild der Aufklärung und jenes wissenschaftlichen Rationalismus des 19. Jahrhunderts - hingen ohne Zweifel mit der Person des neuen Papstes zusammen.
Zur Zeit des II. Vatikanischen Konzils bereitete das Kapitel über den Atheismus unserer Zeit im Gesamtthema des Verhältnisses von Kirche und Welt (Gaudium et spes 19-21) einige Schwierigkeiten. Ein beachtlicher Teil der Konzilsväter war der Meinung, man müsse in diesem Zusammenhang den Kommunismus durch das Konzil feierlich verurteilen. Es waren aber die Bischöfe des Ostblocks, vor allem auch der damalige Erzbischof von Krakau, der mit guten Gründen sich energisch dagegen aussprach. Er meinte, man sollte Provokationen, die nichts bringen, unterlassen.
Nach meiner Ansicht löste die Wahl des Papstes eine große Unsicherheit im kommunistischen Führungsbereich aus. Es dauerte mehrere Monate, bis die Medien des damaligen Ostblocks zur Wahl des neuen Papstes überhaupt Stellung nahmen. Die kommunistische Führung wußte: Dieser Papst kennt uns in Theorie und Praxis ganz genau. Er ist verschwiegen, aber er durchschaut uns, und darum fragte man sich in der obersten Führung des Kommunismus: Was wird er tun?
Johannes Paul II. ließ zunächst nach außen nichts merken, ob und wie er gegen den Kommunismus Stellung beziehen werde. - Auf zwei Wegen hatte er, ohne viel Aufsehen, fast lautlos, die Fundamente des kommunistischen Weltgebäudes langsam und geduldig attackiert. Es war zum ersten das internationale Prestige der katholischen Kirche als Weltkirche, das er immer wieder durch seine Reisen zu stärken versuchte; es war die sehr geschickte Handhabung der westlichen Medien, durch die er in vielen Ansprachen ohne Unterlaß auf das christliche Welt- und Menschenbild hinwies, dessen Gegensatz zu den marxistisch-stalinistischen Vorstellungen immer krasser in Erscheinung trat.
Die stärkste "Waffe" aber war der beständige Hinweis auf Menschenrechte und Religionsfreiheit auf internationaler Ebene. Ihre "Sprengkraft" hatten die Menschenrechte ja bewiesen - geradezu zum Staunen der ganzen Welt -, als in den letzten Dezembertagen des Jahres 1989 Hunderttausende unter Berufung auf Menschenrechte auf die Straße gingen: in Leipzig, in Prag, auf dem Roten Platz in Moskau und dadurch den kommunistischen Koloß zum Einsturz brachten - zum Einsturz brachten ohne Gewalt und Blutvergießen.
Johannes Paul II. hatte so die Menschenrechte zum eigentlichen Grundthema seiner Friedensappelle und Soziallehren gemacht. Auf diese Grundrechte menschlicher Freiheit und Würde, besonders auch der Religionsfreiheit, hatte seinerzeit Johannes XXIII. hingewiesen und ihren christlichen Ursprung deutlich gemacht. Das Vatikanische Konzil hatte diese Linie der Anerkennung der Menschenrechte mit dem ständigen Hinweis auf solche Grundrechte vor der Weltöffentlichkeit unterstrichen. Johannes Paul II. hat das fortgesetzt, gerade dann, als die sichtbaren Risse im kommunistischen Imperium sich mehrten. Angesichts des Vakuums, das der Eiserne Vorhang hinterließ, versucht der heutige Papst, das gegenseitige Mißtrauen zu beseitigen und die Kräfte für den Neuaufbau eines besseren Europas zu mobilisieren.
Damit gehört Papst Johannes Paul II. zur weltweit bewegenden Kraft bei der großen Umgestaltung von Europa - einem neuen Europa, das, so hoffen wir, auf einem neuen Wege zu sich selbst ist.
zitiert nach: Franz Kardinal König, Haus auf festem Grund. Lebensideen und Orientierungen, hrsg. von Annemarie Fenzl und Reginald Földy, Wien: Amalthea, 2. überarb. und erw. Aufl., 2004