Monotheismus in der Welt von heute
Ich betrachte es als besondere Auszeichnung, an der Al-Azhar-Universität, dem anerkannten geistigen Mittelpunkt des Islams, vor Professoren und Studenten über den Monotheismus in der heutigen Welt sprechen zu können.
Unvergesslich ist mir immer noch der 14. Dezember 1964, an dem ich zum ersten Mal das Glück hatte, während meines offiziellen Besuches in Ägypten meinen Fuß in das Gebäude Ihrer hohen Schule zu setzen und Ihren Autoritäten einen Besuch zu machen. Unvergesslich ist mir die große Liebenswürdigkeit, mit der ich damals von Cheikh Hassan Maamoun und dem großen Cheikh Ahmed Hassan El-Bakoury empfangen wurde, sowie die Freundlichkeit, mit der man mich durch dieses Haus führte.
Ich bin mir bewusst, dass ich mich auf traditionsreichem Boden befinde; denn seit rund tausend Jahren besteht die hohe Schule der Moschee Al-Azhar, die im Laufe der Zeit in der ganzen Welt bekannt wurde als Mittelpunkt theologischer Studien, als Mittelpunkt arabischer Literatur und islamischer Kunst.
Die arabische Sprache hat in ihrer klassischen Form als Sprache des Gottesdienstes und der theologischen Wissenschaft hier besondere Pflege erhalten und ist allen Vertretern religiöser Studien im Islam wohl vertraut. Ich schätze es besonders, hier sprechen zu können, wo Studenten aus der Türkei, aus Indonesien, aus Pakistan, Afghanistan und den afrikanischen Staaten zusammenkommen, um aus dem Munde angesehener Lehrer, im Schatten großer Baudenkmäler, für ihre Aufgaben vorbereitet zu werden und die Botschaft ihrer geistigen Führer in ihre mohammedanische Heimat tragen.
Ich habe daher für ein so illustres Auditorium ein Thema gewählt, das sowohl für den Islam als auch für das Christentum von weitreichender Bedeutung ist und auf ein gemeinsames Anliegen hinweist.
Ursprung der Religion
Es versteht sich von selbst, dass bei der Behandlung einer für die heutige Welt so wichtigen Frage wie des Monotheismus auch eine geschichtliche Betrachtung über das Gesamtphänomen der Religion und des Monotheismus im besonderen vorausgeschickt werden muss. Die Geschichte der Religion ist nicht identisch mit der Geschichte des Monotheismus, weil dieser in verschiedenen Perioden der Vergangenheit nicht - oder wenigstens nicht historisch fassbar - auftritt.
Ein Blick in die Religionsgeschichte zeigt uns sofort, dass der Mensch, wie er sich uns in den frühesten Funden erschließt, bereits als ein religiöses Wesen in Erscheinung tritt. Für den religiösen Menschen ist dies nicht weiter verwunderlich, da er den tiefen Sinn der Religion kennt und deren Bedeutung für das menschliche Leben ermisst.
Die Funde, die uns den Nachweis erbringen, dass auch die frühesten Menschenformen bereits Religion hatten, stammen aus Gräbern. Die Tatsache der Grabbeigaben lässt uns aber tiefer blicken, als es aufs erste den Anschein hat. Es ergibt sich daraus nämlich, "dass der Tod nicht als Abschluss des Lebens angesehen wurde. Die Gräber, ausgestattet mit Waffen, Werkzeugen, Schmuck und Nahrungsmitteln bezeugen einen fest verwurzelten Glauben an das Fortleben nach dem Tode." (S. G. F. Brandon, Man and his Destiny in the Great Religions, Manchester 1962, S. 12).
Schon in diesem Glauben auf ein Fortleben nach dem Tode wird sichtbar, dass die Endlichkeit des Menschen zur Sinnfrage des ganzen Lebens hinführte und dass Religion darauf eine Antwort geben will.
Es ist die gemeinsame Überzeugung der Muslims und Christen, dass der erste Mensch mit Gott in besonders enger Verbindung stand. Im Koran (2,35) lesen wir: "... und Adam empfing vom Herrn Worte." Aber etwas später wird hinzugefügt: "Hinunter mit euch allen (mit Adam und seinem ganzen Geschlecht) und wenn zu euch von mir eine Leitung kommt, wer dann meiner Leitung folgt, der hat nichts zu fürchten ...". Der Mensch hat also den engen Kontakt mit Gott nicht bewahrt. So war er ohne Offenbarung auf sich selbst gestellt, seinen Weg zur Erkenntnis Gottes zu finden.
Von dieser Tatsache ausgehend, kann man auch die Frage nach dem Ursprung der Religion und ihrer Geschichte stellen. Dazu sind viele Meinungen vorgetragen worden. Als die beste Antwort ergeben sich jedoch immer klarer einige Grundtatsachen, die am Anfang der Geschichte stehen. Die Erkenntnis, dass ein göttlicher Geist der Schöpfer der Welt und des Menschen ist und dass die sittliche Ordnung unter seiner Obhut steht, übersteigt keineswegs die intellektuellen Möglichkeiten eines Naturvolkes. (Vgl. Otto Karrer, Das Religiöse in der Menschheit und das Christentum, Freiburg 1934, S. 120). Die Forschungen, besonders von W. Schmidt, der das religiöse Gut der heute noch lebenden Altstämme gesammelt und kritisch bearbeitet hat, zeigen, dass es bei diesen Stämmen fast ausnahmslos einen Hochgottglauben gibt, der jeweils selbstständigen Ursprungs ist und, wie archäologische Funde im Vorderen und Mittleren Orient beweisen, bis in die früheste Geschichte der Menschheit zurückreicht (Vgl. Martin Gusinde, Monotheismus, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Freiburg 1962, Bd. VII, S. 565). Wir wollen uns hier noch nicht mit der Frage nach dem Entstehen dieses Glaubens an einen Gott beschäftigen, sondern den Gedanken von der Bedeutung der Religion in der Geschichte der Menschheit weiter verfolgen.
Die Kultur der Frühzeit des Menschen ist von religiösen Vorstellungen, insbesondere vom Jenseitsglauben, geprägt. Es ist nicht verwunderlich, dass die Menschen durch die verschiedenen Naturerscheinungen, wie Wind und Regen, Blitz und Donner, Wachstum und Vergehen beeindruckt wurden und diese von ihnen vergöttlichten Kräfte, die ihnen leicht Gefahr bringen konnten, sich dienstbar machen wollten. Beredtes Zeugnis für die Versuche, sich durch magische Praktiken Jagdglück zu sichern, sind die eindrucksvollen Felszeichnungen, die sich von Europa bis Australien finden (Vgl. H. G. Bandi, H. Breuil, L. Berger-Kirchner, H. Lhote, E. Hom und A. Lommel, Die Steinzeit, Baden-Baden 1960). Es ist überraschend, wie bereits in diesen Zeiten - und das ist eine andere Tatsache, auf die uns die Felszeichnungen hinweisen - Religion und Kunst eng miteinander verbunden waren. Die schöpferische Kraft des Menschen hat aus der Beziehung zum Göttlichen ihre stärksten Antriebe erfahren.
Das Opfer in den Jäger- und Sammlerkulturen, bei den Nomaden und Bauern zeigt das Wissen dieser Menschen um die Abhängigkeit vom Schöpfer. Das Leben und alles, was damit in Verbindung steht, wurde in besonderer Weise mit religiösen Bräuchen umgeben. Manche Formen, insbesondere die Fruchtbarkeitskulte, haben allerdings die Propheten zum Widerspruch herausgefordert.
War das Leben in der primitiven Gesellschaft geregelt durch Familie und Sippe, so trat, als sich neue und größere Gemeinschaften bildeten, ein anderer für das Leben des Menschen sehr bestimmender Faktor hinzu: die Herrscher, die solche mehr oder minder großen Staatsgebilde zu leiten hatten. Auch diese für das menschliche Leben so bedeutende und richtunggebende Einrichtung war aufs engste mit der Religion verbunden. Schon in der sumerischen Königsliste heißt es, dass "das Königtum vom Himmel herabkam" (J. B. Pritchard, Ancient Near Eastern Text relating to the Old Testament, Princeton, 21955, S. 265). Es soll damit nicht gesagt sein, dass alle diese Vorstellungen und gesellschaftlichen Verhältnisse tatsächlich stets den echten Normen des Sittengesetzes entsprochen haben. Die enge Verbindung mit der Religion zeigt bloß, dass die Ordnung des menschlichen Zusammenlebens letztlich ihre Verankerung nur in der göttlichen Ordnung finden konnte, wie dies auch in der Heiligen Schrift der Christen (Röm 13,1) ausgedrückt ist: "Es gibt keine Gewalt, außer von Gott."
In der Welt der frühen Hochkulturen, die im "fruchtbaren Halbmond" lagen, der sich von Mesopotamien bis Ägypten ausdehnte, war die Religion zu einem entwickelten System des Glaubens an viele Götter geworden. Die Menschheit war tief in dem versunken, was Sie in Ihrer Sprache "Sirk" nennen und was der Apostel Paulus nicht weniger scharf ablehnt, indem er sagt: "Die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes vertauschten sie mit dem Bild von vergänglichen Menschen, Vögeln, vierfüßigen und kriechenden Tieren." (Röm 1,23).
Obwohl die Menschen auf die Offenbarung angewiesen waren, enthielt ihre Religion auch im Stadium einer unlösbaren Verquickung von Animismus, Magie und Astralmythologie immer noch die von der menschlichen Natur geforderte Antwort auf die letzten Lebensfragen. Daher konnte die Religion auch in solcher Unzulänglichkeit das ganze Dasein der Menschen durchdringen. Vor den Toren der Stadt Kairo geben die Pyramiden ein großartiges Zeugnis für den Glauben an ein Jenseits, d. h. an eine religiöse Lebensführung. Diese Überzeugung reicht ungebrochen von den unscheinbaren Gräbern vorgeschichtlicher Zeit bis zu den grandiosen Totentempeln der Pharaonen.
Die Religion hat auch von jeher Antriebe für das Diesseits gegeben. Aus der Fülle dessen, was man hier anführen könnte, sei nur auf die rührenden Lehren des Amen-em-ope hingewiesen: "Lass Dein Herz nicht nach Reichtümern ausziehen, hänge Dein Herz nicht an Äußerlichkeiten (VII,10,12). - Bete zu Aton, wenn er aufgeht, und sprich: 'Gib mir meine Notdurft für dieses Leben', und Du bist errettet von Furcht (X,12)" (Vgl. Rudolf Anthes, Lebensregeln und Lebensweisheit der alten Ägypter, Leipzig 1933).
Es ist daher sicher keine Übertreibung, wenn ein christlicher Gelehrter in einem jüngst erschienen Werk sagt: "Religion ist der wesensmäßige, sachliche, aber auch nachgewiesenermaßen zeitlich-geschichtliche Ursprung von Recht, Sittlichkeit, Ethos (und) Kultur" (H. Fries, Religion, in: Handbuch Theologischer Grundbegriffe, München 1963, Bd. II, S. 430f). Die Abbildung auf der Stele des Hammurabi-Codex, die den König zeigt, wie er die Gesetzesrolle aus der Hand des Stadtgottes entgegennimmt, ist der künstlerische Ausdruck der im menschlichen Bewusstsein tief verankerten Überzeugung und in der Geschichte der Menschheit immer wieder aufleuchtenden Tatsache, dass die Religion - die Bindung an Gott - die letzte Sicherung von Recht und Gerechtigkeit darstellt.
Zur Geschichte des Monotheismus
Alle bisher erwähnten Religionsformen waren sogenannte Volksreligionen. Ihnen ist die Überzeugung gemeinsam, dass das Verhältnis zur Gottheit an die Gemeinschaft eines bestimmten Volkes gebunden ist (Vgl. H. Schlette, Religionen, in: Grundbegriffe, Bd. II, S. 441). Gemeinsam ist ihnen aber auch der Polytheismus. Wenngleich wir als Angehörige einer "Religion des Buches" dies negativ beurteilen müssen, so sind die positiven Werte jener Religionen doch nicht zu übersehen. "In allen Mythen wird sichtbar, dass der Mensch auch in der geschaffenen Welt dem Geheimnis begegnet. Er gelangt zu Bewunderung und Ehrfurcht und sieht, dass in der Materie, in der Pflanzen- und Tierwelt und erst recht im Menschen etwas ist, das der Mensch nicht hervorbringen kann. Im Polytheismus ist diese Ehrfurcht - wir dürfen es ruhig zugeben - groß; der Mensch sieht in Quelle, Baum und Gestirn etwas Göttliches; er verehrt den schlagenden Blitz, die segnende und sengende Sonne, den heilenden und verwüstenden Wind, bleibt aber bei dieser ihn so beeindruckenden Vielheit stehen. Das große alles einende Prinzip kennt er nicht: er hat viele göttliche Dinge, die er Götter nennt, aber keinen Gott; dorthin ist er bloß auf dem Weg" (Manuskript von Prof. Köberl, Bibelinstitut, Rom).
Damit sind wir bereits an der Schwelle dessen angelangt, was wir Monotheismus nennen. Schon die Geschichte der Religion lässt an ihren Wurzeln erkennen, dass es eine Überzeugung von der Existenz eines einzigen Gottes gab. Wie lassen sich nun die beiden Tatsachen vereinbaren: der Glaube an viele Götter in weiten Abschnitten der Religionsgeschichte einerseits, das sich aus vielen Hinweisen ergebende Vorhandensein eines Urmonotheismus anderseits. Man wird die letzten Wurzeln menschlichen Nachdenkens über die eigene Existenz bloß legen müssen, um diese Frage beantworten zu können.
Zunächst sei wieder auf die archäologische Forschung verwiesen: "Dass der Mensch seine Toten sorgfältig begrub, ist eine Tatsache von höchster Bedeutung. Sie zeigt, dass Homo sapiens schon bei seinem ersten archäologisch fassbaren Auftreten sich von den höheren Säugetieren durch die Sorge für die toten Angehörigen seiner Gattung unterscheidet." (Brandon, op. cit., S. 8). Dieser Sachverhalt lässt aber einen nicht zu übersehenden Schluss zu: "So gelangen wir notwendigerweise zu der Meinung, dass der Mensch irgendwann in ferner Vergangenheit die Bedeutung von Geburt und Tod erkannte und solcherart sich eine bestimmte Vorstellung seiner selbst und seines Schicksals in die Erfahrungswelt bildete." (Brandon, op. cit., S. 7). Der Mensch wird durch die Grenzsituation auf seinen Daseins- und Sinngrund hingelenkt. Das aber führt ihn zur Erkenntnis und zur Anerkennung eines Grundes, der nicht in dieser Welt zu finden ist und den er deshalb als heilig und geheimnisvoll empfindet. (Vgl. Fries, op. cit., S. 430).
Diese Frage nach dem Grund der Dinge, die sich für jeden Menschen, wohl auch für den Primitiven, ergibt, findet eine befriedigende Antwort nur in der Annahme der Existenz des einen Gottes und Schöpfers, der selbst keinen Grund mehr hat. Die islamische Theologie bezeichnet diese Eigenschaft Gottes als "Qidam", und ein islamischer Theologe hat auch eine sehr anschauliche Formulierung jenes Gedankenganges gefunden, der den Menschen auf Gott hinführt. Al Ash'ari sagt: "Ein Beispiel, das dies klarmacht, ist die Tatsache, dass Baumwolle sich nicht ohne Weber in Tuch verwandeln kann." (Al Ash'ari, Kitab al Lume (Highlights of The Polemic against Deviators and Innovators, übers. Richard McCarthy SJ), Beyrouth 1953, S. 7).
Der Koran beschreibt die Situation, die den Menschen der Frühzeit zum Glauben an den einen Gott geführt haben mag, mit den Ihnen bekannten Worten: "Wahrhaftig, in der Schöpfung des Himmels und der Erde, im Wechsel zwischen Nacht und Tag, in den Schiffen, die das Meer durcheilen, befrachtet mit wertvollen Gütern, im Wasser, das Gott vom Himmel hernieder sendet und durch das er die tote Erde belebt, in den Tieren, die er auf ihr in großer Menge hervorgebracht hat, im Wechsel der Winde und der Wolken, die zwischen Himmel und Erde in Fron gehalten werden, wahrhaftig, in alldem sind Wunderzeichen für denkende Menschen!" (2,164f). Unsere Heilige Schrift drückt denselben Sachverhalt ganz knapp mit den Worten aus: Gottes "ewige Macht und Göttlichkeit sind seit Erschaffung der Welt durch das Licht der Vernunft aus seinen Werken zu erkennen." (Röm 1,20).
Der Ursprung des Eingottglaubens wird also wohl so zu beschreiben sein, dass die prinzipiell vorhandene Möglichkeit, den einen Gott zu erkennen, deswegen bei vielen Menschen zum Polytheismus führte, weil ihnen die geistige Kraft und Fähigkeit fehlte, zum eigentlichen Monotheismus vorzustoßen (Vgl. die negative Auffassung hinsichtlich der Annahme eines Urmonotheismus bei George Galloway, Monotheism, in: Encyclopaedia Britannica, Bd. 19, 1960, und bei S. Tokarew, Monotheimus, in: Filosofskaja Enziklopedia, Bd. 3, S. 492, Moskau 1964 ("Die Ergebnisse der modernen Wissenschaft widerlegen die falsche Theorie des Urmonotheismus, welche die ursprüngliche Verehrung des einen Gottes behauptet")). Monotheismus und Polytheismus hat es daher stets gegeben (Diese Meinung scheint sich durchzusetzen. Vgl. W. Holsten, Monotheismus und Polytheismus, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. IV, Sp. 1110, Tübingen 1960 ("Wie der Gang der Religionsgeschichte vom Monotheismus zum Polytheismus von dem Dogma vom Urmonotheismus behauptet wird, so der umgekehrte Gang vom Evolutionsdogma"). Selbst G. Mensching, Religion, in op. cit., Bd. V, Sp. 968, Tübingen 1961: "... Keine geradlinige Entwicklung ..."), und der Monotheismus musste sich, wie die Religionsgeschichte zeigt, stets mühsam seinen Weg bahnen.
Neben dem, nicht nur in den polytheistischen Volksreligionen, sondern auch schon in den Religionen der Naturvölker vorhandenen Hochgott (Vgl. Paul Radin, Die religiöse Erfahrung der Naturvölker, Zürich 1951, S. 107f) gibt es immer auch echten Monotheismus. So verkündete im 14. Jh. v. Chr. der Pharao Amenhotep IV. den Sonnen-Monotheismus. Sein Werk fand keinen starken Widerhall und ging unter. Aber nur wenig später hat Moses auf den Ruf Gottes hin den Glauben an den einen Gott gepredigt, was auch im Koran berichtet wird (20,8-14). In Fortsetzung der Lehren des Moses bekennt das Christentum den Glauben an einen Gott. Der Glaube an den einen Gott, den das Neue Testament ausspricht: "Nun ist aber Gott ein Einziger" (Gal 3,20), ist auch dem Islam wesentlich eigen.
Alle erwähnten Formen des Monotheismus stehen immer in Abwehr gegen den Polytheismus und sind in ihrem geschichtlichen Ursprung jeweils dessen revolutionäre Verneinung. Sie sind nicht Produkt einer Entwicklung (Vgl. Holsten, op. cit., Bd. IV, Sp. 1111), sondern sind jeweils neuer Anfang aufgrund der immer gegenwärtigen, weil möglichen Einsicht in den Seinsgrund der Welt. Freilich kommt ein neues Element bei jenen Religionen hinzu, die auf einer Offenbarung Gottes beruhen.
Monotheismus heute
Wie uns die Geschichte zeigt, ist der Monotheismus immer gefährdet. Die Berufung auf das Wort Gottes verwurzelt ihn bei denen, die auf dieses Wort hören. Deshalb ist die rein natürliche, nur vom denkenden und meditierenden Menschen begründete Religion durch die Offenbarung überwunden, als ein ständig dem Verfall überantworteter Versuch des Menschen (Vgl. H. Fries, op. cit., Bd. II, S. 440).
Angedeutet ist die Notwendigkeit der Offenbarung zur Festigung des Glaubens an einen Gott im Widerstreit der menschlichen Neigungen in der verbreiteten Erklärung zum Koran 30,29 bei Mahalli (864/1459f): "Jedoch diejenigen, welche sich durch israk vergehen, folgen ihren Neigungen und sind ohne Wissen (um Gott). Wer aber kann die recht leiten, die Gott in die Irre gehen lässt? Sie haben keinen Führer".
Ohne die Führung Gottes sucht der Mensch tastend seinen Weg zum Monotheismus. In einzelnen Menschen nimmt der Monotheismus dann konkrete Gestalt an und erfährt seine Krönung und Festigung durch den redenden Gott. Das höchste Wesen beherrscht die Zeit und erfüllt den Raum und neben ihm ist alles menschliche Wirken verschwindend und unbedeutend (Vgl. Bernardi, in: Nicola Turchi, Le Religioni del Mondo, Rom 1951, S. 17).
Wenn wir die gegenwärtige Welt betrachten, fällt uns sofort auf, dass der Monotheismus in praktisch wirksamer Form - abgesehen von der jüdischen Religion - nur von Christentum und Islam verkündet wird. Die meisten Menschen, die sich zu einem Gott bekennen, leben in diesen beiden Religionen. Auch ihr Verbreitungsraum ist der größte. In ihnen tritt der Eingottglaube in organisierter, d. h. gesellschaftlich fassbarer Form auf.
In diesem Zusammenhang sei nicht zuletzt darauf hingewiesen, dass die Religionen in der immer mehr eins werdenden Welt einander näher kommen und einander begegnen. Dadurch ergeben sich neue Aufgaben, aber auch neue Probleme. Im Geist einer solchen Begegnung wird man daher anders als früher das Gemeinsame sehen und zu verstehen trachten. Eine solche Begegnung wird dann in der rechten Weise erfolgen, wenn mit der eigenen Überzeugung der Respekt für den Standort und die Überzeugung des Anderen verbunden ist (Vgl. Fries, op. cit., Bd. II, S. 428).
Wir wollen deshalb prüfen, welche Möglichkeiten die beiden großen monotheistischen Religionen in dieser Beziehung heute haben. Damit soll keine abschließende Feststellung gemacht werden, die schon lückenlos alles aufzählt, was es an Möglichkeiten gibt, vielmehr soll ein Anstoß zur weiteren Erkundung solcher Möglichkeiten gegeben werden.
Gestatten Sie, dass ich von der christlichen Sicht ausgehe. Für uns ist es klar, dass - wenngleich wir die andere Religion nicht annehmen können - die Gnade Gottes auch im Bereich der nichtchristlichen Religionen wirksam werden kann. Der Satz "Außerhalb der Kirche wird keine Gnade verliehen" wurde verworfen. Wir wissen freilich, dass es noch an einer Theologie der Religionen fehlt. (Vgl. Schlette, op. cit., Bd. II, S. 444). Aber die Entwicklung einer solchen ist wohl auch von der konkreten Begegnung abhängig.
Eines aber muss den Vertretern der großen Religionen zu Bewusstsein kommen: als Universalreligion (im Gegensatz zu den oben erwähnten Volksreligionen) sehen Islam und Christentum von der naturhaften Volksbindung ab und wenden sich an alle Menschen, indem sie ihnen das Heil schlechthin anbieten (Vgl. Schlette, op. cit., Bd. II, S. 443). Indem sie so aus innerem Antrieb und echter Überzeugung vor die Menschen hintreten und sie zur Entscheidung rufen, stehen sie auch untereinander in der Auseinandersetzung. Die Menschen selbst, denen sie den einen Gott - jedoch unter Berufung auf verschiedene, ja teilweise einander sogar ausschließende Offenbarungen - verkünden, stellen ihnen die Wahrheitsfrage. Und wenn jeweils die Überzeugung von der alleinigen Vollwahrheit der eigenen Religion vorhanden ist, so stellt sich dem Verkündigenden dennoch die Frage nach dem Sinn der anderen Religion, den sie im Plane Gottes doch haben muss (Vgl. Fries, op. cit., Bd. II, S. 428: "Die Frage der Religion ist heute vielmehr insofern theologisch bedeutsam geworden, als das Problem der Theologie der Religionen ausdrücklich gestellt wird und nach einer Antwort verlangt."). Der Koran (10,99) weist darauf mit den Worten hin: "Wenn dein Herr wollte, würden alle auf der Erde ohne Ausnahme gläubig werden."
Das ist die Situation des Monotheismus heute. Das ist sein Kernproblem. Wenn uns die eigene Überzeugung heilig ist und wir sie den Menschen glaubwürdig verkündigen wollen, dann dürfen wir diese Fragen nicht übersehen.
Wir wissen alle, dass "Theologie" im Christentum und "Kalam" im Islam nicht genau dasselbe bedeuten, obwohl ihre Situation heute eine ähnliche sein mag (L. Gardet - M. N. Anawati, Introduction à la théologie musulmane, Paris 1948, S. 471 und 451). Die Lösung schwieriger Probleme kann in der heutigen Welt nicht mehr in der Weise erfolgen, wie es der hochangesehene Muhammad Abduh noch vor hundert Jahren tun konnte. Er berief sich bei der Frage nach der Vereinbarkeit von Allwissenheit Gottes und Freiheit des Menschen in seinem Risalat al tawhid nur auf die unzugänglichen Geheimnisse Gottes (Gardet - M. N. Anawati, op. cit., S. 426).
In unserer Zeit geht es für die christliche Theologie und den islamischen Kalam nicht darum, kleinliche Probleme zu lösen, sondern einem nicht auf der Basis des Monotheismus stehendem Denken zu begegnen (Gardet - Anawati, op. cit., S. 454).
Einige Möglichkeiten für den Versuch, jene Probleme zu lösen, die das enge Nebeneinander der Religionen aufgibt, kann man in folgenden Tatsachen sehen:
1. In der gemeinsamen Basis des Monotheismus.
2. In der besonderen Gemeinsamkeit, dass Islam und Christentum Buchreligionen sind.
3. In der Achtung der anderen Religion - ohne die eigene Überzeugung aufzugeben - als eines von Gott ermöglichten Weges zum Ziel des Menschen (Vgl. Schlette, op. cit., Bd. II, S. 449: "Man darf also die Religionen als von dem einen Gott ermöglichte Wege zu dem einen Ziel des Menschen betrachten, wenn man die heilsgeschichtliche bzw. gnadenhafte Einzigartigkeit der Offenbarung in Christus nicht abstreitet.").
4. In der Beachtung des - auch von den Christen anerkannten - Grundsatzes, den der Koran mit den Worten ausspricht: "Es darf keinen Zwang zum Glauben geben." (2,257).
Diese wenigen Gedanken mögen die Position des Monotheismus heute charakterisieren. Sie sollten nicht auf die praktischen Wege beim gemeinsamen Handeln hinweisen, sondern nur die Voraussetzungen aufzeigen, die von einer echten Begegnung gefordert werden.
Monotheismus als Wurzel und Krone der Religion
Der Monotheismus ist jene Religionsform, die ein transzendentes Wesen als einzige Gottheit, ohne jedwede Nebengötter, anerkennt (Vgl. Gusinde, op. cit., Bd. VII, S. 65f). Dies trifft für das Christentum (Wenn auch neuerdings wie bei Tokarew, op. cit., Bd. III, S. 492 zu finden ist: "Das Christentum, das den Kult dieses obersten Gottes (Gott-Vater) übernahm, ihn durch den Glauben an Gott-Sohn, der im Gott-Menschen Christus inkarniert wurde und die neuplatonische Lehre von einem Weltgeist (Hl. Geist) ergänzte, kann nicht als streng monotheistische Religion gelten") und für den Islam zu. Die Geschichte der Religionen im allgemeinen und des Monotheismus im Besonderen erweist den Glauben an einen Gott als die letztlich allein überzeugende Antwort auf die Frage nach Ursprung und Sinn der Welt und des Menschen. Nur der eine Gott kann das Ziel des menschlichen Lebens sein. Alle Religiosität hat daher - bewusst oder unbewusst - diesen Glauben an einen Gott zum Ausgangspunkt. Der Monotheismus lebte bereits im Christentum, als der Islam auftrat. Der Islam hat ihn zum Besitz seiner vielen Anhänger gemacht.
Al Ghazali stellt ganz richtig den Eingottglauben als das Hauptgebot des Korans hin: "Kurz und gut, der Koran ist vom Anfang bis zum Ende eine Argumentation gegen die Ungläubigen, und der Hauptbeweis der Theologen für den Monotheismus ist der Ausspruch Gottes (21,22): 'Wären im Himmel und auf Erden mehrere Götter außer Allah, sie müssten zugrunde gehen.'" (Hans Bauer, Die Dogmatik Al Ghazalis, Halle 1912, S. 23).
Indem also für den denkenden Menschen die Antwort auf die Frage nach der Existenz eines höheren Wesens nur im Monotheismus liegen kann, muss die Bedeutung dieser Antwort noch näher erläutert werden. Der Monotheismus, welcher in den meisten Religionen wenigstens in der Gestalt eines Hochgottes vorhanden ist, wird in seiner entfalteten Form zur Krönung des gesamten religiösen Bemühens der Menschen.
Nur der einzige Gott hat alle jene Eigenschaften in sich, die der Mensch bereits schlussfolgernd erahnen kann. Dieser Gott ist ein persönliches Wesen, für uns wohl verborgen, aber ein solches, dem wir einmal gegenübertreten sollen. Von diesem einen Gott erfährt auch unser Dasein auf der Welt, unser praktisches, tägliches Leben sehr wesentliche Antriebe. Wir sehen, wie der Mensch immer wieder nach Vorbildern für dieses Leben Ausschau hält, nach denen er sich richten kann. Sehr oft werden ihm von Propaganda aller Art Menschen als letztes Vorbild hingestellt. Wir spüren sofort, dass dies nicht befriedigen kann. Immer dann, wenn der Mensch sich zum Maß aller Dinge macht, erlebt er Enttäuschungen. Nun ist aber gerade das Bild des einen und erhabenen Gottes ein Vorbild, das alle menschliche Vollkommenheit übersteigt. Indem die großen monotheistischen Religionen Gott als das absolute Maß der Dinge und Norm des Lebens verkünden, sind sie in der Lage, ihre Anhänger vor der Vergöttlichung, vor der Verabsolutierung des Menschen zu bewahren.
Im Polytheismus ist es immer möglich gewesen, Menschen zu vergöttlichen. Im Monotheismus ist dies endgültig ausgeschlossen. Es gibt nichts Göttliches außer Gott. Damit sind alle Geschöpfe in ihre Schranken gewiesen.
Nun meldet sich vielleicht die Frage, ob der Mensch durch diese Abhängigkeit und Unterordnung nicht die Freiheit verliere. Wir meinen damit nicht so sehr die Frage, wie die Willensfreiheit des Menschen angesichts der Allwissenheit und Allmacht Gottes gewahrt ist, sondern ob der Mensch nicht unfrei wird durch die freie Unterwerfung unter den Willen Gottes. Er muss ja das alleinige, endgültige Maß jedes menschlichen Handelns sein. Ein Blick in die Welt von heute zeigt, dass der Mensch nie unfreier ist, als wenn er sich von Gott frei macht. Die Befreiung von Gott versklavt auf mannigfaltige Weise. Die Befreiung von Gott gibt jedem Menschen, der Macht hat, die unbeschränkte Herrschaft über die ihm Untergebenen. Es fällt die Verantwortung gegenüber dem Schöpfer weg, die allein den Menschen davor bewahrt, in den verschiedenen Formen des Totalitarismus unterzugehen.
Wir predigen also nicht die Unterwerfung des Menschen, sondern seine Würde, die gesichert ist in der Würde Gottes. Alle menschliche Macht findet ihre Grenze in der Verantwortung gegen Gott. Daher - und darüber müssen wir uns klar sein - wird der Monotheismus ein Gegner aller jener, die sich selbst zur alleinigen Norm des Daseins machen wollen. Damit müssen wir rechnen.
Darin liegt aber auch die Verantwortung, dass wir nicht selbst über der Organisation - ich meine unsere jeweilige Religionsgemeinschaft und ihre irdischen Interessen - übersehen, dass Gott allein der Herr der Menschen ist und nicht wir. Helfen wir den Menschen in dieser schwierigen Zeit zur Bereitschaft einer Lebensführung nach dem Willen Gottes, damit das, was keimhaft in jedem Menschen vorhanden ist - Sie nennen das in Ihrer Sprache "fitra", d. h. die Anerkennung des einen Gottes - auch tatsächlich die Krönung des religiösen Lebens der Menschen werde.
Atheismus und Monotheismus
Nach dem oben Gesagten ist es nicht schwer zu erkennen, warum der atheistische Materialismus sich in erster Linie gegen den Monotheismus wendet. Die letzte Wurzel ist die Tatsache, dass es ihm darum geht, den Menschen, und nur den Menschen, zum Herrn der Welt zu machen. Karl Marx spricht dies ganz klar aus: "Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, dass der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei." (Karl Marx, Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, 1843. Vgl. auch die Einleitung seiner Dissertation, 1841).
Diese Meinung ist letztlich allen Atheisten gemeinsam, ob sie nun zum militanten, organisierten Zweig des Ostens oder zum liberalen Zweig westlicher Prägung gehören. Der englische Philosoph B. Russell drückt den Sachverhalt ähnlich wie Marx aus: "Wir selbst sind es, die die Wertungen schaffen ... In diesem Reich sind wir Könige ... Wir bestimmen, worin das gute Leben besteht, nicht die Natur -, nicht einmal die Natur, die durch Gott verkörpert wird." (Bertrand Russell, Warum ich kein Christ bin, S. 67).
Daraus wird völlig klar, dass solche Auffassungen mit der zentralen Botschaft des Koran, dass es einen Gott gibt, gnädig, mitleidig, "der Herr des Himmels und der Erde, der Zeuge aller Dinge und der allwissende, allmächtige Schöpfer aller Dinge" ebensowenig vereinbar sind wie mit dem fundamentalen und ersten Satz der Heiligen Schrift: "Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde." (Gen 1,1).
Sehr klar und offen wird dieser Sachverhalt in einem Leitartikel der sowjetischen Zeitschrift "Nauka i Religija" zugegeben: "Wie auch immer man die Religion an die neuen Verhältnisse anpasst, wie auch immer man ihre Lehren deutet, sie bleibt Glaube an Gott und ein Leben nach dem Tode. Sie ist und bleibt somit der Wissenschaft und dem Kommunismus entgegengesetzt." ("Um leninistische Unversöhnlichkeit mit der Religion", "Nauka i Religija", Nr. 4/1961, S. 4f).
Was das Argument der Wissenschaft betrifft, so haben wir schon zu zeigen versucht, dass die Frage nach der Existenz Gottes durchaus sinnvoll ist und sich dem Menschen immer wieder aufdrängt. "Solange es Menschen gibt, lässt sich die tiefste religiöse Anlage nicht ersticken." (Karrer, op. cit., S. 71). Wir können auch darauf hinweisen, dass zahlreiche Naturwissenschaftler ihre Wissenschaft und die Religion in ihrem persönlichen Leben vereinbaren können und, was noch wesentlicher ist, auch keinen prinzipiellen Gegensatz zwischen Wissenschaft und Glauben finden.
Es ist nun aus theoretischen und praktischen Gründen klar, dass die allgemeine Auseinandersetzung mit der Religion konkret zu einem Kampf gegen den Monotheismus wird. Rein philosophisch ist die Widerlegung des Polytheismus kein Problem. Mehrere Götter schließen einander gegenseitig aus. Vom Praktischen her ist es überdies so, dass der Polytheismus in der heutigen Welt keine Chance mehr hat, und soweit er noch existiert, von selbst zum Untergang verurteilt ist. Der Monotheismus hingegen ist in den Weltreligionen Islam und Christentum auch gesellschaftlich eine Macht.
Schlägt man die von Karljuk verfassten "Abhandlungen über den wissenschaftlichen Atheismus" auf (A. S. Karljuk, Ocerki po naucnomu ateizmu, Minsk 1961), so lässt schon das Inhaltsverzeichnis erkennen, dass dieser Atheismus vor allem die monotheistischen Religionen zum zentralen Angriffsziel macht. Es ist selbstverständlich, dass sowohl das Christentum wie auch der Islam angegriffen und abgelehnt werden. Klimowitsch schreibt: "Der Islam ist eine antiwissenschaftliche, reaktionäre Weltanschauung, die der wissenschaftlichen, marxistisch-leninistischen Auffassung fremd und feindlich gegenübersteht." ("Zarja Vostoka", zit. bei Kolarz, Religion und Communism in Africa, London 1963, S. 400).
In der konkreten Argumentation gegen den Islam ist man sich nicht so einig wie gegen das Christentum. In beiden Fällen kommt aber zum theoretischen Argument noch das der sozialen Rückständigkeit hinzu, ferner der - wie man sich ausdrückt - ausbeuterische Charakter der Religion. Man könnte es auf die Formel bringen: "Gott ist es, der die Geschichte stört, indem er sich in sie einmischt." (Ramzi H. Malik (Fr. Lukas) O. P., Israel and Ismael, Düsseldorf 1962, S. 15).
Schicksalsgemeinschaft der monotheistischen Religionen
Das Argument von der Rückständigkeit der Religion und ihrer Fortschrittsfeindlichkeit kann uns als Ausgangspunkt dieses letzten Abschnittes dienen. Die vorhin angestellten theoretischen Überlegungen müssen zu praktischen Folgerungen führen. Und mit der Praxis beschäftigt sich dieses gegnerische Argument.
Das praktische Handeln wird von uns als gläubigen Menschen umso mehr gefordert, als wir einer Front von Gegnern gegenüberstehen, die nicht nur mit den Mitteln geistiger Auseinandersetzung unseren Standpunkt bekämpfen. Als Norm unseres Handelns kann das schon angeführte Koranwort dienen: "Niemand soll zum Glauben gezwungen werden." Eine fast gleichlautende Formulierung kennt auch das katholische Kirchenrecht.
Wenn wir nun diese gemeinsame Überzeugung auch bezüglich unserer gemeinsamen Gegner gelten lassen, so drängt sich aus der Natur der Sache heraus eine Aktionsgemeinschaft der Betroffenen auf. Ob dies gelingt oder nicht, davon hängt sehr viel ab; denn wer weiß nicht, dass Einheit Kraft verleiht. Wenn wir uns auch klar sind, dass es vieles gibt, was uns gerade auf der theologischen Ebene trennt, so wissen wir doch auch um das Maß an gemeinsamen Überzeugungen, das uns an der Wurzel eint.
Die Beziehungen zwischen Islam und Christentun sind alt, wir müssen jedoch auch sagen, dass sie nicht immer freundlich waren. Aber vielleicht kann uns die Tatsache trösten, dass das Werk des christlichen Theologen Johannes von Damaskus in seinem Gesamtaufbau eine stärkere Bindung an den islamischen Kalam als an die Systematik der Theologie des Westens zeigt. (Vgl. Gardet-Anawati, op. cit., S. 203).
In diesem Sinn wäre es auch denkbar, dass gerade in der Argumentation gegen den Atheismus und zugunsten des Monotheismus die Theologen voneinander lernen könnten: die Christen vom islamischen Theologen die anschauliche, wirklichkeitsnahe Darstellung, die Muslims die straffe logische Form in den Theologien der Christen. (Gardet-Anawati, op. cit., S. 207: "... des emprunts et perfectionnements réciproques d'outillage technique.").
Wir müssen ferner gemeinsam auf der Hut sein, den Einheitsbestrebungen der heutigen Welt nicht so zu verfallen, dass wir zur religiösen Indifferenz kommen und damit dem liberalen Atheismus dienen, der alle Religionen für gleich hält und damit meint, dass sie gleich falsch seien. Aus dem Streben der Welt nach Einheit wird sich jedoch die Pflicht für die Verantwortlichen in den monotheistischen Religionen ergeben, das gegenseitige Verstehen und die Toleranz - ohne jede verwischende Gleichmacherei - zu fördern. (Vgl. Schlette, op. cit., Bd. II, S. 444).
Diese Toleranz soll nicht nur bedeuten, dass man sich nicht durch feindselige Handlungen bekämpft, sie soll auch zu einer positiven Zusammenarbeit auf religiösem, sittlichem und insbesondere auf sozialem Gebiet führen. Es soll uns niemand den Vorwurf machen können, dass wir zwar die Würde der Geschöpfe verkünden, uns aber um die Schaffung der materiellen Voraussetzungen hierzu nicht kümmern. Auf diese Weise werden wir dem Gegner den Wind aus den Segeln nehmen, und die oft durch Armut gedrückten Menschen werden dann nicht in Gefahr kommen, ihre Würde um den Preis vorübergehender materieller Besserstellung zu verkaufen, ihre Freiheit preiszugeben in der Hoffnung, sie zu gewinnen, und dann jene Enttäuschung zu erleben, die dem sicher ist, der den Menschen an die Stelle Gottes setzt.
So können Christentum und Islam nicht nur in einer neuen, von der Vergangenheit verschiedenen Weise einander begegnen, sondern auch erstmalig zur Gemeinsamkeit gelangen, die in dieser so wichtigen Stunde der Menschheitsgeschichte alle jene anstreben sollten, die im Bewusstsein der Hinordnung aller Dinge auf Gott geeint sind. (Vgl. Fries, op. cit., Bd. II, S. 441).