Ökumenismus seit dem II. Vatikanischen Konzil
Bevor ich über den Weg des Ökumenismus seit dem II. Vatikanischen Konzil aus meiner Sicht und Erfahrung berichte, erlauben Sie mir eine kurze Vorbemerkung. Die Selbstverständlichkeit, mit der wir - auch als katholische Christen - heute über die Ökumenische Bewegung und ihre wichtige Aufgabe sprechen, hat in unserer Erinnerung die Tatsache verdrängt, dass die Gemeinschaft christlichen Glaubens, das Christentum, im Rahmen der Weltgeschichte, durch 1000 Jahre - von den altorientalischen Kirchen abgesehen (Konzil von Chalzedon) - eine weltumspannende Einheit war. Diese Einheit war gewiss keine Gleichförmigkeit, weder im geografischen, noch im geschichtlichen Sinne. Aber der Bogen des christlichen Glaubens und der christlichen Einheit reichte von Byzanz bis Rom. Diese Einheit erfuhr erst im Jahr 1054 durch das sogenannte Morgenländische Schisma einen schweren Einbruch.
Es kam zum ersten Mal zu einer großen Spaltung zwischen einer abendländischen und einer morgenländischen christlichen Kirche. Byzanz wurde in der Folge das Zentrum einer byzantinischen christlichen Kirche; und Rom wurde der Mittelpunkt einer lateinischen, westlichen christlichen Kirche, mit dem Papst als Oberhaupt. Im Bereich der byzantinischen Kirche entstanden dann die autokephalen orthodoxen Kirchen, die in steigendem Maße durch nationale Interessen beeinflusst waren. Der Patriarch von Konstantinopel ist ihr gemeinsames Oberhaupt, aber ohne rechtliche Ingerenz in den einzelnen Kirchen. Ihre Zahl beträgt heute vierzehn; sie versammeln sich seit jüngster Zeit fallweise in einer Pan-Orthodoxen Konferenz. Seit Jahren wird an der Vorbereitung einer pan-orthodoxen Synode gearbeitet.
Eine Einladung der orthodoxen Kirchen zum II. Vatikanum wurde vom Ökumenischen Patriarchen abgelehnt, wohl mit Rücksicht auf die Russisch-Orthodoxe Kirche, für die damals zum ersten Mal Reisen ins Ausland in Aussicht genommen werden mussten; zur großen Überraschung erschienen aber, ganz unabhängig, am 2. Konzilstag einige Vertreter der Russisch-Orthodoxen Kirche in der Konzilsaula von St. Peter. Zufälligerweise sind sie mir damals direkt in die Hände gelaufen.
Mit dem Konzilsende am 7. Dezember 1965 erfolgte übrigens am selben Tag und zur selben Stunde die zwischen dem Ökumenischen Patriarchen Athenagoras und Papst Paul VI. vereinbarte Aufhebung der beiden gegenseitigen Bannbullen des Jahres 1054. Ich werde den brausenden Beifall in St. Peter nie vergessen, der dieser Ankündigung - in Anwesenheit eines Vertreters des Ökumenischen Patriarchen in seiner schönen liturgischen Kleidung - folgte. Gewiss wurde durch diese beiderseitige Erklärung die Geschichte von Byzanz und Rom nicht verändert, bzw. ungeschehen gemacht, aber es wurde immerhin ein symbolischer Gestus gesetzt, der in Verbindung mit der Gründung des Weltrates der Kirchen im Jahre 1948 in Amsterdam ein hoffnungsvolles Zeichen für den weiteren Weg der Ökumenischen Bewegung war. Ein Historiker erzählte mir damals, dass er mit Tränen in den Augen und mit innerer Ergriffenheit die Größe jener Stunde gefühlt und miterlebt hätte.
Doch zurück zur Geschichte der Trennung: Der zweite Einbruch erfolgte zur Zeit der Reformation im 16. Jahrhundert. Die beachtliche Zahl der im späteren Verlauf entstandenen reformierten Kirchen führte besonders in den Missionsgebieten außerhalb Europas zu größeren Schwierigkeiten. Die miteinander konkurrierenden christlichen Kirchen suchten einen Ausweg, um das Konkurrenzdenken in ein gewisses Miteinander zu wandeln. Nach längerem Bemühen kam es daher nach dem letzten Krieg, im Jahre 1948, zur Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Amsterdam. Die Abkürzung lautet: ÖRK oder ECU (Ecumenical Council of Churches). An dieser Gründungsversammlung des Ökumenischen Rates ohne Ingerenz in die anderen Kirchen kamen 351 Delegierte aus 147 getrennten christlichen Kirchen zusammen. Heute beträgt die Zahl der im Weltrat zusammengefassten selbstständigen Kirchen weit über 300. Die großen Gruppen sind: Die Orthodoxen, bzw. die Ostkirchen, die anglikanische Gemeinschaft, der Lutherische Weltbund, sowie die Weltpfingstbewegungen.
Man unterscheidet übrigens drei Phasen der Ökumenischen Bewegung:
1. Die Zeit der Sammlung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis hin zur Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Amsterdam im Jahre 1948. Die gemeinsame christliche Grundlage für den ÖRK in Amsterdam lautete: "Eine Gemeinschaft von Kirchen, die den Herrn Jesus Christus, gemäß der Heiligen Schrift, als Gott und Heiland bekennen und darum gemeinsam zu erfüllen trachten, wozu sie berufen sind: zur Ehre Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes."
Eine spätere Versammlung des Weltkirchenrates in Neu-Delhi 1961 spricht von einer "Wiederherstellung der Einheit" - gemeint ist die verlorene Einheit der Christen. Damit vermied man den Ausdruck "Rückkehr zur Einheit".
Die Katholische Kirche wurde nicht Mitglied des Ökumenischen Rates der Kirchen; sie ist es auch heute nicht. Aber seit dem II. Vatikanischen Konzil (1962-65) nimmt die Katholische Kirche offiziell und sehr engagiert teil an der Arbeit des Ökumenischen Rates der Kirchen.
2. Vom Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖKR, 1948) bis zum Beginn des II. Vatikanischen Konzils; und schließlich
3. Das Schicksal der Ökumenischen Bewegung seit dem II. Vatikanischen Konzil.
Das II. Vatikanische Konzil verabschiedete ein eigenes Dekret über den Ökumenismus und formulierte damit Richtlinien für die Mitarbeit der Katholiken an der allgemeinen ökumenischen Arbeit. Durch jenes Dokument wurde die Katholiken ganz allgemein zur Mitarbeit am Ökumenismus ermuntert. Am 21. November des kommenden Jahres sind es übrigens 30 Jahre, dass dieses Dekret vom Vatikanischen Konzil beschlossen und verabschiedet wurde. Der erste Satz dieses Dokumentes beginnt mit den Worten: "Die Einheit aller Christen wiederherstellen zu helfen, ist eine der Hauptaufgaben des Heiligen Ökumenischen II. Vatikanischen Konzils. Denn Christus hat eine einige und einzige Kirche gegründet" (Nr. 1). Damit bezieht sich das Dekret auf die bekannte Stelle bei Johannes 17,21 "dass alle eins seien, wie du, Vater, in mir und ich in dir; damit auch sie in uns eins seien; damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast". - Des weiteren fährt der Konzilstexte fort, dass die Spaltungen der Christen nicht nur gegen den Willen Christi sind, sondern auch "ein Ärger für die Welt und ein Schaden für die heilige Sache der Verkündigung des Evangeliums vor allen Geschöpfen" (Nr. 1).
Mit diesen einleitenden Hinweisen auf das, was vor und während des Vatikanischen Konzils geschah - es handelt sich um Ereignisse, die Ihnen ja bekannt sind -, möchte ich noch auf gelegentlich vorhandene Missverständnisse hinweisen, die in Verbindung mit dem Ökumenismus zum wiederholten Male auftauchen:
1. Es gibt keinen katholischen Ökumenismus - trotz gelegentlicher gegenteiliger Behauptungen -, es gibt nur katholische Grundsätze für diese wichtige Mitarbeit an der gemeinsamen Ökumenischen Bewegung. Unmittelbar nach Abschluss des II. Vatikanums wurde daher beim Weltkirchenrat die Mitarbeit der Katholischen Kirche begonnen, das heißt, es wurde ein Konsultativausschuss mit katholischen Mitgliedern eingerichtet, um die Möglichkeit zu schaffen, vor allem in der Kommission des Ökumenischen Rates für "Glaube und kirchliche Verfassung", so wie in anderen Kommissionen intensiv mitzuarbeiten.
Aufseiten der Katholischen Kirche verdient eine besondere Anerkennung die Mitarbeit des unmittelbar vor Konzilsbeginn durch Papst Johannes XXIII. eingerichteten Sekretariates (heute: Rates) zur Förderung der Einheit der Christen. Ich erinnere an Namen wie: Kardinal Bea, an den heute emeritierten, sehr verdienstvollen Präsidenten Kardinal Willebrands. Heute hat das Amt eines Präsidenten der Australier Kardinal Cassidy inne; sein Sekretariat verfügt über ausgezeichnete Mitarbeiter in den bestehenden Sektionen. Die Schwierigkeiten während und unmittelbar nach dem Konzil sind Ihnen wohlbekannt. Heute ist es Papst Johannes Paul II., der wiederholt und nachdrücklich auf die Mitarbeit der Katholiken an der Ökumenischen Bewegung hinweist; es handelt sich um eine Mitarbeit, die allen katholischen Christen besonders Anliegen sein soll.
2. Ein anderes gelegentliches Missverständnis ist: Die ökumenische Zusammenarbeit erstreckt sich nicht nur auf Gespräche und Kontakte mit den aus der Reformation hervorgegangenen christlichen Kirchen, auf ihre Zusammenarbeit mit der Katholischen Kirche und umgekehrt. Denn die ökumenischen Aufgaben auch aus katholischer Sicht umfassen nicht nur die Kirchen der Reformation im westlichen Europa und in den USA, sondern ebenfalls die Kirchen der anglikanischen Gemeinschaft, wie auch jene der autokephalen orthodoxen Kirchen im gesamten östlichen Bereich. In Bezug auf die orthodoxen Kirchen ist darauf hinzuweisen, dass diese praktisch dasselbe Glaubensbekenntnis besitzen wie die Katholische Kirche, das heißt, so wie wir, als katholische Christen, es an Sonntagen in unseren Kirchen beten. Übrigens ist die Verehrung der Gottesmutter Maria in der Liturgie der orthodoxen Kirchen oft noch stärker ausgeprägt als bei katholischen Christen. Daher ist die Distanz der aus der Reformation stammenden Kirchen zur Katholischen Kirche oft wesentlich größer, als dies bei den Orthodoxen der Fall ist.
Neue Schwierigkeiten ergeben sich aber auch durch den großen Unterschied des ökumenischen Interesses in einzelnen Erdteilen und Ländern, bedingt durch die Verschiedenheit der politischen und kulturellen Situation. In Österreich und in der Schweiz zum Beispiel - das gilt auch für die Bundesrepublik Deutschland - besteht zwischen den christlichen Kirchen, die Katholische Kirche miteingeschlossen, ein dichtes und vielfältiges Netz von Zusammenarbeit in praktischen Dingen, wie auch bei kirchlichen Anlässen. Die Ökumenische Bewegung auf Weltebene ist vielfältiger und komplexer, als dies aus der Sicht der Westeuropäer zu sein scheint.
3. Auf Missverständnisse und Schwierigkeiten deutet aber auch der Einwand, dass ein ökumenisches Interesse rückläufig sei; eine Resignation sowohl aufseiten der Katholischen Kirche (Vatikan) wie aufseiten der nichtkatholischen Christen sei erkennbar. Dazu möchte ich festhalten: Die Berichte in den Medien sowie persönliche Gespräche vermitteln wiederholt einen solchen Eindruck. Ich bin aber der Meinung, dass es sich um eine Stagnation im Wachstumsprozess der Ökumenischen Bewegung, nicht aber im Ökumenismus selber handelt. Nach dem schwungvollen Anfang der ökumenischen Arbeit außerhalb der Katholischen Kirche zu Beginn dieses Jahrhunderts und nach der durch das II. Vatikanum ausgelösten Euphorie ist nun das Interesse in der öffentlichen Meinung geringer geworden. Die Verhandlungen auf höchster oder mittlerer Ebene befassen sich mit zum Teil schwierigen theologischen Fragen, und die Verhandlungen, Besprechungen ziehen sich oft in die Länge.
Ein Prozess der Rezeption an der Basis müsste einsetzen; dabei handelt es sich nicht nur um theologische und geschichtliche Missverständnisse, sondern vor allem auch um Zusammenarbeit im Friedensdienst sowie karitativer Hilfen. Die Unterscheidung zwischen Prestigefragen und Sachfragen ist wichtig. Es ist aber auch verständlich, wenn Prestigefragen alter und neuer Art bei verschiedenen Anlässen auftauchen und das Zueinander in ein scheinbares Gegeneinander umwandelt. So sieht es wenigstens der Beobachter.
Vor allem aber wäre es falsch, die Wiederherstellung der Einheit der christlichen Kirchen ausschließlich als eine Sache von Verhandlungen und Beschlüssen zu sehen. Es ist wichtig, immer wieder darauf hinzuweisen, dass ökumenische Arbeit ein geschichtlicher Prozess ist, der christliche Erfahrung, theologische Einsicht und persönliche Frömmigkeit umfasst. Dazu gehört das ständige Bemühen, alle Worte, Urteile und Taten auszumerzen, die der Lage der getrennten Brüder nach Gerechtigkeit und Wahrheit nicht entsprechen; die dadurch die gegenseitigen Beziehungen mit ihnen erschweren; dazu gehört der Dialog, der bei Zusammenkünften der Christen aus verschiedenen Kirchen und Gemeinschaften ... von wohl unterrichteten Sachverständigen geführt wird, wobei ein jeder die Lehre seiner Gemeinschaft tiefer und genauer erklärt (Nr. 4). Dies alles weist hin auf den genannten ökumenischen Prozess sowie auf die notwendige Bereitschaft, jene Teile, wo bereits Einvernehmen besteht, gemeinsam zu übernehmen.
Dabei ist zu bedenken, dass die ökumenische Spannweite in einem großen Bogen christliche Traditionen und geschichtliche Entwicklungen umfasst. Das heißt, der Bogen reicht von der Orthodoxie über die Gemeinschaft der Anglikaner, der Lutheraner bis zu den Baptisten, den Pfingstkirchen sowie den unabhängigen afrikanischen Kirchen. Der Kristallisationspunkt der ökumenischen Bemühungen ist immer noch der Ökumenische Rat der Kirchen mit seinen Versammlungen, Arbeitsgruppen in gemischten Kommissionen. Dazu kommt heute noch die Erwartung, dass christliche Kirchen im Sinne der Ökumene sich noch mehr einsetzen für den Frieden, für Toleranz zwischen religiösen Mehrheiten und Minderheiten, für Würde und Freiheit des Menschen im Sinne der Menschenrechte.
Nicht zu übersehen ist das ökumenische Bemühen innerhalb des ÖRK für den europäischen Bereich. Auf protestantischer Seite kam es zur Gründung einer "Konferenz europäischer Kirchen" (KEK); dies war zunächst ein loser Zusammenschluss niederländischer, französischer und deutscher protestantischer Kirchen. Ihre erste gemeinsame Konferenz fand im Jahre 1959 in Nyborg, Dänemark, statt. Das dort behandelte Thema beschränkte sich nur auf Europa und lautete: "Die europäische Christenheit in der heutigen säkularisierten Welt". Von da ab fanden solche Konferenzen der KEK in regelmäßigen Abständen statt. In der Folge kam es auch zu einer Zusammenarbeit mit dem im Jahr 1971 gegründeten "Rat der Europäischen Bischofskonferenzen" (CCEE), welcher im Jahre 1979 auch die Anerkennung durch den Vatikan erlangte. In diesem Rat sind insgesamt 25 Bischofskonferenzen aus ganz Europa, vom Ural bis Malta, vertreten. Die erste gemeinsame Konferenz von KEK und CCEE mit europäischem Profil fand im Jahre 1978 in Chantilly statt. Im heurigen Sommer kam es zur bisher letzten Konferenz des CCEE in Prag unter der Führung des neuen Vorsitzenden, des Prager Erzbischofs Vlk.
Missverständnisse entstehen allerdings auch dadurch, dass man nicht unterscheidet zwischen einem ökumenischen und interreligiösen Dialog. Der ökumenische Dialog als Sammelbegriff meint alles, was in kluger Weise in Wort und Tat zur Förderung der Einheit der Christen getan werden kann. - Der interreligiöse Dialog hingegen bezieht sich auf das Gespräch, die Kontakte zwischen christlichen und nichtchristlichen Religionen. Dabei ist zu beachten, dass Christen und die anderen monotheistischen Religionen wie Judentum und Islam heute einen wichtigen Beitrag leisten können zur Völkerverständigung und Frieden in der Welt. Ich erinnere hier an die beiden interreligiösen Treffen zu denen Johannes Paul II. nach Assisi eingeladen hat. Es ging dabei darum, das Bewusstsein dafür zu wecken, dass die großen Religionen viel mehr als früher zum Dienste der Völkerverständigung und des Friedens aufgerufen sind.
Damit aber will ich jetzt in einem zweiten Teil versuchen, den Weg des Ökumenismus, mit allem Auf und Ab, seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil zu skizzieren. Ich spreche nun über die dritte Phase der Ökumenischen Bewegung, ab der Zeit des II. Vatikanums.
Das Ökumenismusdekret des Zweiten Vatikanischen Konzils hatte aufgefordert, den Dialog mit den getrennten Christen aufzunehmen und vorhandene Probleme zu besprechen. In diesem Sinn war das Konzil selbst eine Art Einübung in den ökumenischen Dialog. Damit meine ich die Anwesenheit von Beobachtern, die als Delegierte ihrer Kirchen die Vorgänge und die Besprechung der Themen in der Konzilsaula mitverfolgen konnten. Sie konnten dabei zwar nicht das Wort ergreifen; sie konnten dies aber in den verschiedenen Kommissionssitzungen tun und vor allem in persönlichen Gesprächen auf Missverständnisse, Wünsche und Anliegen ihrer Kirche hinweisen.
In Verbindung mit dem Ökumenischen Rat der Kirche hat die Katholische Kirche in der Folge das Gespräch mit circa zehn größeren Gruppen christlicher Kirchen aufgenommen und nimmt an den ständigen Rats- und Kommissionssitzungen teil. Ich verweise hier nur auf Namen, um zu zeigen, welcher Umfang an Zeit und Arbeit damit verbunden ist: Zum Beispiel die Gemischte Kommission mit den Ostkirchen, der Koptischen Kirche, der anglikanischen Gemeinschaft, dem Lutherischen Weltbund, dem Weltbund der reformierten Kirchen, dem Weltrat der Methodisten, den Jüngern Christi, dem Weltbund der Baptisten, den Welt-Pfingstbewegungen und den Evangelikalen.
Die Intensität und den Umfang des ökumenischen Bemühens illustriert ein zweibändiges Werk: "Dokumente wachsender Übereinstimmung". Jeder Band umfasst über 700 Seiten; der erste Band sammelt Dokumente und Materialien aus einem Zeitraum von 50 Jahren, das heißt, von 1931 bis 1982. Der zweite Band setzt die Sammlung fort von 1982 bis 1990. Aus einer auch nur flüchtigen Durchsicht dieser reichhaltigen Bände ist zu ersehen, dass die Arbeit auf Welt- wie regionaler Ebene mit Zuversicht fortgesetzt wird; die menschlichen Kontakte werden zahlreicher und persönlicher. Die geschichtlichen und menschlichen Schwierigkeiten, die sich im Laufe der Generationen anhäuften, werden geringer. Das intensive und gemeinsame Studium der Offenbarung, das heißt, der Heiligen Schrift und Überlieferung, führt auf beiden Seiten zu neuen Einsichten. Es ist allerdings nicht zu übersehen, dass der Fortschritt der Arbeit manche Schwierigkeiten deutlicher hervortreten lässt und dass menschliche Trägheit und menschliches Prestigedenken neue Hindernisse schaffen.
Kardinal Willebrands, ein bekannter Experte dieser Materie, meinte: "Eine so bedeutende Veröffentlichung beweist allerdings auch die Unmöglichkeit, die gegenwärtige ökumenische Situation in ihrer ganzen Breite auch nur annähernd auf wenigen Seiten zusammenzufassen."
Aus der Fülle und Vielseitigkeit der Dokumente und des Dialogvorganges greife ich drei gemischte Kommissionen heraus, um stichwortartig den Weg seit dem II. Vatikanum zu skizzieren. Es sind dies die katholisch-lutherische, die katholisch-anglikanische Kommission, sowie das Schicksal der orthodoxen Kontakte mit der Katholischen Kirche.
a. Das Gespräch mit dem Lutherischen Weltbund begann bereits in der Endphase des II. Vatikanums. Die Initiative dazu ging aus von Konzilsbeobachtern der lutherischen Kirche in den USA. Der katholisch-lutherische Dialog gilt heute als einer der bedeutsamsten und fruchtbarsten. Der Anfang der Gespräche erfolgte auf neutralem Boden, unberührt von den westeuropäischen Polemiken des 16. Jahrhunderts. Theologische und geschichtliche Überlegungen, die auch bereits das II. Vatikanum beschäftigt hatten, kamen dabei zum Tragen. Von Vorteil war es, dass der Dialog auf nationaler und regionaler Ebene in den USA bereits Erfahrungen gesammelt hatte und Früchte brachte. In den bereits vorliegenden Dokumenten fällt auf ein Klima echter Frömmigkeit, theologischer Tiefe und Zuversicht, das Trennende noch besser zu erkennen und zu überwinden.
b. Das theologische Gespräch mit den Kirchen der anglikanischen Gemeinschaft und der katholischen Vertreter begann im März 1966, also ein Jahr nach dem Konzil. Unmittelbar nach dem Besuch des anglikanischen Erzbischofs Ramsey bei Paul VI. war hierfür der gute Anlass. Ein erster Bericht der Gemischten Kommission aus dem Jahre 1968 zeigt, wie sehr "die Kirche als Koinonia" das beiderseitige Interesse in Anspruch nahm. Dieser Bericht wurde einerseits den anglikanischen Bischöfen zugeleitet. Die Stellungnahme der Glaubenskongregation auf katholischer Seite ließ lange auf sich warten und war auffallend zurückhaltend. Dies führte zu neuen Diskussionen auf beiden Seiten. Von großer Bedeutung für das ökumenische Klima in England war der Besuch Papst Johannes Pauls II. in Großbritannien im Jahre 1982. Die historische Begegnung des Papstes mit Erzbischof Runcie in der Kathedrale verstärkte das bestehende gute ökumenische Klima. Damals kam es zur Gründung einer neuen ökumenischen Kommission, der ARCIC II, um die noch nicht abgeschlossenen Arbeiten der ersten Kommission nicht zu stören. In der Folge ging es um die Frage, welche Gründe einer gegenseitigen Anerkennung der kirchlichen Ämter noch im Wege stünden. Das Dokument Leo XIII. aus dem Jahre 1896 wurde damals wieder aktuell. Dazu tauchte in jüngster Zeit ein neues Hindernis auf: es war oder ist dies die Zulassung von Frauen zur Ordination als Priester und Bischöfe. Von nicht geringer Bedeutung aber war eine gemeinsame Erklärung des anglikanischen Erzbischofs und Papst Johannes Paul II.: "Wir sind uns dessen bewusst, dass die Aufgabe der neuen Kommission nicht leicht sein wird; doch wir schöpfen Mut aus unserem Vertrauen in die Gnade Gottes und in alles, was wir aus der Macht dieser Gnade in der ökumenischen Bewegung unserer Zeit hervorgehen sehen." Die positive Einstellung des Papstes ist hier wohl nicht zu übersehen.
c. Der Dialog der orthodoxen Kirchen mit den westlichen, vor allem mit der Katholischen Kirche, hat noch etwas später begonnen. Der Besuch des Papstes beim Patriarchen Dimitrios I. am Feste des hl. Andreas im Jahre 1979 war der Anstoß zur Errichtung einer gemischten orthodox-katholischen Kommission. Dazu möchte ich bemerken, dass das II. Vatikanische Konzil den Kirchen des Ostens besondere Aufmerksamkeit widmete. So heißt es zum Beispiel im Ökumenismusdekret (Nr. 14): "Die Kirchen des Orients und des Abendlandes sind Jahrhunderte hindurch je ihren eigenen Weg gegangen, jedoch verbunden in der brüderlichen Gemeinschaft des Glaubens. ... Alle sollen daher um die große Bedeutung wissen, die der Kenntnis, Verehrung, Erhaltung und Pflege des überreichen liturgischen und geistlichen Erbes der Orientalen zukommt, damit die Fülle der christlichen Tradition in Treue gewahrt und die völlige Wiederversöhnung der orientalischen und abendländischen Christen herbeigeführt werde". -
Damit verweise ich ganz kurz auch auf die Wiener Stiftung "Pro Oriente" aus dem Jahre 1964, mit dem Bestreben, aus Wiener Sicht und aus Wiener Tradition mit den autonomen orthodoxen Kirchen im Osten engeren Kontakt aufzunehmen. Besonders erfolgreich waren für "Pro Oriente" die Begegnungen mit den altorientalischen Kirchen und die Klärung sprachlicher Schwierigkeiten in chalzedonensischen Texten ("Wiener Christologische Formel") Der Vatikan bediente sich gerne der Wiener inoffiziellen Basis, um auf der Weltebene unsere neuen Möglichkeiten aufzugreifen.
Eine Reihe von Besuchen und Gegenbesuchen bei Oberhäuptern der orthodoxen Kirchen konnten von Wien aus auch über den Eisernen Vorhang hinweg durch mich, in meiner Eigenschaft als Erzbischof von Wien, gemacht werden.
Der ökumenische Dialog schien gerade hier einen günstigen Ausgangspunkt zu haben. Und gerade hier geriet er in eine äußerst turbulente Phase. Die christlichen Kirchen des Ostens waren, wie Sie wissen, durch Jahrzehnte der Staatsfeind Nummer eins. Zugleich aber waren sie ein Ort der Freiheit und des Widerstandes. Der lautlose Zusammenbruch des Kommunismus hatte nicht zuletzt auch im Westen große Hoffnungen geweckt. Eine aus der Verfolgung und aus den Katakomben in die Freiheit entlassene Kirche musste doch so etwas wie eine christliche Renaissance für Ost und West werden.
Die große Enttäuschung folgte aber in kurzer Zeit. Der Westen war enttäuscht, weil anstelle des zusammengebrochenen Kommunismus fast über Nacht Formen eines extremen Nationalismus, eines Misstrauens gegenüber dem Westen, ein Vakuum zwischen Ost und West schufen. Der Osten war enttäuscht, weil die erhoffte Neuordnung nur unter größten Schwierigkeiten einen Grund legen konnte. Tiefe Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit schien alles zu lähmen. Die katholischen Kirchen hatten das Problem der geheimen, nicht immer leicht nachprüfbaren Priester- und Bischofsweihen im Untergrund. Die orthodoxen Kirchen schienen verschiedene Wege zu gehen. Der eine Teil wandte sich gegen den westlichen Liberalismus christlicher Kirchen und lehnt den Ökumenismus grundsätzlich ab. Eine andere Richtung hatte zu ringen mit dem Problem der Vergangenheitsbewältigung, und so wandelte sich grundsätzlich die Einstellung der orthodoxen Kirchen, nicht nur in Russland, gegenüber der Katholischen Kirche.
Die orthodoxen Kirchen waren für den plötzlichen Neuanfang in Freiheit nicht vorbereitet; sie sahen sich großen materiellen und geistigen Herausforderungen gegenübergestellt. Dazu kam der Mangel an Geistlichen, eine zu geringe Ausbildung von Priestern und Bischöfen; der pastorale Umgang mit einer atheistisch erzogenen jungen Generation traf die Kirche ebenfalls unvorbereitet. Staatlicherseits gab es keine Unterstützung in Bezug auf ursprünglich kirchliche Gebäude. Die wirkliche oder vermutete Zusammenarbeit auf den oberen kirchlichen Rängen mit dem seinerzeitigen KGB führte zu heftigen Auseinandersetzungen in den Medien.
All dem gegenüber schien die Katholische Kirche im Vorteil zu sein: ihr Prestige als Weltkirche, finanzielle Mittel, Zeitschriften und Bücher, der Wiederaufbau der Unierten katholischen Kirchen in der Westukraine und Rumänien drängten die Orthodoxie in eine Art Defensive. Dazu kam die Einsetzung neuer Bischöfe für katholische Gemeinden im Bereiche der orthodoxen Kirchen. Ich erinnere an die Ernennung eines polnischen Erzbischofs in Moskau, eines jungen Wolgadeutschen in Novosibirsk; ich erinnere an künstlich geschürte Befürchtungen gegenüber der westlichen Kirche in Gebieten wie Böhmen, der Sklowakei und Ungarn, aber auch in Polen, wo man scheinbar liberale Einflüsse einer westlichen Theologie aus übertriebener Ängstlichkeit oder aufgrund falscher Informationen zurückdrängte und so der östlichen Isolation auch im kirchlichen Bereich den Vorzug gab.
Abgesehen vom überstürzenden Einbruch missionierender Sekten und neureligiöser Bewegungen, ist für die Orthodoxie die Existenz der Unierten Kirchen wie eine Wunde, wie ein Verrat an der Orthodoxie selbst. Dies wird gleichsam als eine Verweigerung betrachtet, den orthodoxen Kirchen den Status einer Schwesterkirche zu geben.
In einer Konferenz orthodoxer Kirchenführer vom 15. März vergangenen Jahres wird auf die Verbundenheit der Orthodoxie mit ihren alten slawischen Stammgebieten hingewiesen und mit großem Bedauern auf die aus dem Ausland kommenden Versuche, Proselyten zu gewinnen, aufmerksam gemacht; der Aufbau eigener fremder Missionsstrukturen wird abgelehnt.
Seitens der Katholischen Kirche ist man bemüht, die Schwierigkeiten zu verstehen und die entstandene Kluft zu überbrücken. Am 15. Jänner dieses Jahres hat Johannes Paul II. durch ein eigens Motu proprio eine ständige Kommission für die Kirchen Osteuropas errichtet. Dieses Dokument sucht den entstandenen Schwierigkeiten zu begegnen und gilt daher sowohl für die lateinischen Kirchen wie auch für die östlichen katholischen Kirchen in den früheren Gebieten des Kommunismus.
Die große Belastung des Ökumenismus im Bereiche der Orthodoxie ist die Existenz unierter katholischer Kirchen. Im Vorfeld der Ökumene geht es daher darum, den unierten katholischen Kirchen ihre Anerkennung weiter aufrecht zu erhalten und Wege der Aussöhnung mit den orthodoxen Kirchen, gerade bei diesen verständlichen Schwierigkeiten, zu suchen.
Der offizielle orthodox-katholische Dialog hatte mit großer Zuversicht 1980 auf Patmos begonnen. Jede der 14 orthodoxen Kirchen hatte dorthin Vertreter entsandt. Die folgenden Dialoge in München, auf Kreta, in Bari bis hin zu dem kürzlich stattgefundenen Treffen in Balamand wurden mit den wachsenden Problemen konfrontiert: Neben dem Vorwurf des Proselytismus ist es die Existenz der unierten Kirchen.
Mit diesen stichwortartigen Hinweisen wollte ich den Weg der Ökumenischen Bewegung seit dem II. Vatikanischen Konzil in etwa sichtbar machen.
Drei Gründe scheinen mir für die Förderung des ökumenischen Dialoges in der Zukunft immer wichtiger zu werden:
1. Der Dienst der Religionen an der Völkerverständigung und Friedensarbeit wird zu einer steigenden Erwartung, an der auch die Ökumenische Bewegung nicht vorübergehen kann. Ich erinnere hier nochmals an die vom Papst ausgegangenen Einladungen zu den beiden Treffen in Assisi. Die immer häufiger stattfindenden Konferenzen der Weltreligionen und der Hinweis auf ihren Friedensdienst scheinen mir auch für die Ökumenische Bewegung wichtiger zu werden.
2. Die Provokation durch die neureligiösen Bewegungen und Sekten mit christlichen, noch christlichen oder anderen Wurzeln trifft nicht nur einzelne christliche Kirchen, sondern den christlichen Glauben insgesamt. Dies wird zu einem neuen Motiv, die ökumenische Zusammenarbeit ernst zu nehmen und das Gemeinsame mehr zu sehen als das, was trennt.
3. Der religiöse Subjektivismus, die religiöse Indifferenz rücken den Menschen immer stärker in die Mitte und drängen das Bewusstsein der Abhängigkeit von einem Schöpfer des Himmels und der Erde weiter zurück. Daher ist aus den heute aktuell gewordenen Befragungen nach der religiösen Einstellung immer deutlicher herauszuhören: Ja, ich bin religiös, aber die Existenz Gottes verliert für mein subjektives religiöses Weltbild immer mehr an Bedeutung. Mit anderen Worten: Religion ja, Gott nein.
Daher folgt für die Ökumenische Bewegung schließlich auch die Aufgabe, mit der gesamten Religionsgeschichte der Menschheit, in Verbindung mit den Propheten und Jesus Christus, hinzuweisen auf den Grund unseres Glaubens mit der Feststellung aus dem Johannes-Prolog: "Niemand hat Gott je gesehen, er aber, der ruhte am Herzen des Vaters, er hat Kunde gebracht."