Mariazeller Matinée 2003: Jugend bedeutet Hoffnung
Die Mariazeller Matinée steht heuer in enger Verbindung mit dem Mitteleuropäischen Katholikentag, der im Juni dieses Jahres in St. Stephan seinen Anfang genommen hat. So Gott will, wird er im kommenden Mai in Mariazell mit einer "Wallfahrt der Völker" seinen Abschluss finden. Acht mitteleuropäische Länder, noch vor rund 15 Jahren durch den Eisernen Vorhang von Österreich getrennt, mit der Vielfalt ihrer Sprachen und Kulturen - es sind dies: Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Österreich - werden einander begegnen unter dem Schutz und der Fürsprache unserer lieben Frau, der Magna Mater Austriae, in Mariazell, dem geschichtlichen und geistlichen Zentrum vieler. Dort werden sie gemeinsam jenen Satz Mariens aus der Bibel überlegen, den uns Johannes von der Hochzeit zu Kanaan überliefert hat und der zum Leitwort der Wallfahrt der Völker geworden ist: "Was er euch sagt, das tut" (Jo 2,5b); dies bedeutet wohl für unseren mitteleuropäischen Anlass, darüber nachzudenken, was von jenen erwartet wird, die heute in Europa mit seiner Geschichte und Zukunft, mit Christus zu neuen Zielen unterwegs sind. Unterwegs sind in unterschiedlicher Weise.
Ich denke hier nicht nur an die planende ältere Generation, sondern ich denke vor allem an die jungen Bauleute Europas. Jugend bedeutet Hoffnung. Die Hoffnung ist eine geistige und geistliche Schubkraft, die mehr bewegt als Glaube und Liebe allein. Charles Péguy, einer der Großen aus der Generation des französischen Renouveau Catholique, einer religiösen Erneuerung in Frankreich am Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich mit der Hoffnung befasst und ihr eine kleine Schrift gewidmet mit dem Titel: "Das Tor zum Geheimnis der Hoffnung". Hier lässt Péguy Gott sagen:
"Der Glaube, den ich am liebsten mag, ist die Hoffnung. ... Sie, die kleine, schreitet ... voran zwischen den beiden größeren Schwestern, dem Glauben und der Liebe. ... Sie ist es, die Kleine, die alles mit sich reißt. Denn Glaube sieht nur, was ist. Sie aber sieht, was sein wird. Und Liebe liebt nur, was ist. Sie aber liebt, was sein wird. ... Hoffnung, Kindheit des Herzens."
Und Europa braucht heute nichts so sehr wie die Hoffnung, den Blick nach vorn. Nach Jahrzehnten schmerzlicher Trennung durften wir vor nunmehr 14 Jahren den Fall des Eisernen Vorhanges erleben. Heute ist Europa in Gefahr, in eine Sackgasse zu geraten, weil nationale Egoismen stärker sind als der Gedanke an das gemeinsame Ganze als Friedensgrundlage des Kontinents.
Dies ist für die Katholiken, für die Christen Mitteleuropas eine große Chance, zu zeigen, wo heute, inmitten einer pluralistischen Welt die Stärken der grenzüberschreitenden Botschaft des Christentums liegen. Das christliche Welt- und Menschenbild, mit seinen Grundsätzen und seinen Lebensgewohnheiten, mit seinen Bräuchen und Festen, mit seinen Bildungsstätten, von der Domschule bis zur Universität, hat seine Wurzeln in dem Ereignis von Bethlehem. Die Wurzel trägt den Baum und nicht umgekehrt.
Maria sagt: "Was er euch sagt, das tut!" - Und was sagt er, Christus, uns heute? - Schon als er geboren wurde, in Bethlehem, wurde die Stimme laut:" Und Friede den Menschen auf Erden!" Daran hat sich bis auf den heutigen Tag nichts geändert. Der Friede aber braucht als Fundament den Respekt vor der Freiheit und Würde eines jeden Menschen, die Achtung der Menschenrechte und den Vorrang des Gemeinwohles vor egoistischen Einzelinteressen. Wie die Geschichte zeigt, ist dies alles leicht gesagt, aber schwer getan. Auf dem Weg zu diesem Ziel ist die Hoffnung die gestaltende Kraft, die Glaube und Liebe nie erlahmen lässt. Christen müssen Hoffnungsträger sein. Am Anfang ihrer eigenen Geschichte waren sie Träger der Hoffnung. Warum sonst hätte Petrus in seinem ersten Brief an seine Gemeinden in Asien gemahnt - wörtlich: "Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der euch nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt; aber antwortet bescheiden..." (1 Petr 3, 15) Das heißt, damals sind die Christen als
Menschen mit einer Botschaft der Hoffnung offenbar aufgefallen. Ich wünsche uns allen, dass dies auch in unseren Tagen wieder möglich ist. Träger der Hoffnung sind auch die Propheten. Und in der heutigen Messliturgie haben wir die Stimme des Propheten Micha gehört, eines weniger bekannten Zeitgenossen des großen Propheten Jesaja. Und auch er kündet eine Friedenszeit an, durch die Hoffnung auf das Kommen des Messias - wörtlich: "Aber du, Bethlehem-Efrata, so klein unter den Gauen Judas, aus dir wird mir einer hervorgehen, der über Israel herrschen soll. Sein Ursprung liegt in ferner Vorzeit, in längst vergangenen Tagen. ... Er wird auftreten und ihr Hirte sein in der Kraft des Herrn, im hohen Namen Jahwes, seines Gottes. Sie werden in Sicherheit leben; denn nun reicht seine Macht bis an die Grenzen der Erde. Und er wird der Friede sein." (Micha, 5,1)
Ich wünsche Ihnen ein Weihnachtsfest voller Hoffnung und Zuversicht und - so Gott will - auf Wiedersehen in Mariazell!