3. Adventsonntag: Mut zur Stille
Der Advent ist ein Symbol für unsere Sehnsucht nach dem Unendlichen, nach Gott selber, der uns mitnimmt in Seine unermessliche, bleibende, grenzenlose Fülle des Lebens. Der Advent ist für uns keine bloß liturgische Angelegenheit, sondern unser ganzes Leben soll ein Advent sein. Wir müssen dieser geheimen Sehnsucht nach Gott in den Stunden der Stille und des Gebetes Raum geben und Erfüllung ermöglichen. Diese Sehnsucht nach Gott ist ja ähnlich der menschlichen Sehnsucht nach der großen Liebe. Wenn wir von der Liebe getroffen werden, müssen wir uns Zeit nehmen für diese Liebe, für das Gespräch der Liebe, für die Gemeinschaft der Liebe. Tun wir es nicht, dann versandet und verwelkt die Liebe. So kann auch unsere Sehnsucht nach dem absoluten, nach dem totalen, nach dem unermesslichen Gott verschüttet werden vom lauten Alltag, vom Leistungsdruck, vom Hetzen und Jagen. Nur wenn wir uns dafür Zeit nehmen, wird diese Liebe wach werden, bewusst werden, stark werden in uns. Nur dann werden wir Menschen des wirklichen Glaubens an den unendlichen Gott, nur dann werden wir aus dieser Begegnung mit dem unendlichen Gott die Kraft der Liebe schöpfen, die Klarheit der Liebe, die Hoffnung und den Auftrag der Liebe. Nur so werden wir die Welt verändern können und die Kirche in der Krise unserer Tage zur inneren Erneuerung führen.
Mit dieser Zeit der Stille und des Gebetes werden wir vielleicht klein anfangen müssen, mit zwei Minuten, fünf Minuten täglich, mit einer Viertelstunde. Gott wird uns in dieser Zeit irgendwann anrühren. Geben wir ihm diese Chance, so werden wir seine Wirklichkeit erfahren. Wir werden dann erkennen, dass hier das eigentliche Leben ist und dass wir Verrat am eigenen Leben begingen, wenn wir diesem Weg nicht folgten. So werden wir uns allmählich mehr und mehr Zeit für diese Stille nehmen, für diese Suche nach Gott.
Gebet ist Suche
Gebet ist immer Suche nach dem unendlichen Gott, nach dem unermesslich großen, nach dem totalen Leben, das Gott ist und gibt. Aber nicht immer werden wir fähig sein, Gott direkt zu suchen. Oftmals wird uns in der Zeit der Stille und des Gebetes unser tägliches Leben mit allen Sorgen und Hoffnungen vor Augen stehen. Wir werden dann gar nicht fähig sein, Gott selber und direkt zu suchen. Wir sollen dann gar nicht abschalten von unseren Sorgen und Aufgaben, von unserer quälenden Not, sondern unser Gebet wir dann die Suche nach dem unendlichen Gott sein, aber in seiner Schöpfung, in unserem eigenen Leben, in unseren eigenen Nöten. Wir werden dann Gott suchen, indem wir unser eigenes Leben zu bewältigen suchen. In dieser Zeit der Stille müssen wir zuerst zur Ruhe kommen, uns innerlich beruhigen, bis wir nachdenken können. Wir müssen warten, bis die ganze Hast von uns abfällt und wir innerlich ruhiger werden, bis uns endlich bewusst wird, was im Augenblick eigentlich unser Leben bestimmt, um welche Not es geht, um welche Aufgabe, um welche Sehnsucht. Erst wenn wir uns bewusst werden, wie es in unserem eigenen Inneren eigentlich ausschaut, werden wir es vielleicht überlegen und bedenken können. Und dann werden wir bitten können: "Herr, hilf Du mir, weil ich noch keinen Weg weiß."
Gott kommt
Wir werden vielleicht lange vor Gott so dasitzen oder knien und keine Lösung wissen. Aber wenn wir Gott suchen, heißt das doch, dass unsere innerste Sehnsucht lebendig wird. Und diese innerste Sehnsucht geht nach Gott, der die absolute Wirklichkeit ist, das totale, sinnvolle Leben ist. Und weil uns Gott diese innerste Sehnsucht gegeben hat, wird diese Sehnsucht uns bewegen. Deswegen werden, wenn wir so dasitzen vor Gott, allmählich in uns Bilder wie in einem Traum aufsteigen: das Bild von der wirklichen Gemeinschaft, das Bild von der dienenden Liebe, die sich einsetzt für andere, das Bild vom echten und bleibenden Reichtum, das Bild vom schuldlosen Leben, das Bild vom Leben ohne Furcht und Angst, das Bild von der Geborgenheit bei Gott, das Bild von der Vergebung und Versöhnung, das Bild vom mutigen Glauben, der Großes wagt für Gott und Sein Reich, das Bild vom gütigen Menschen ... . Solche Bilder werden wie Leitbilder sein, die uns Gott gegeben hat. Sie werden uns vor Augen stehen wie eine lichte Hoffnung, wie ein Morgenrot, wie ein Wegweiser, wie eine Aufforderung und Ermunterung Gottes. Er zeigt sie uns nicht als Drohung, nicht nach der brutalen Art der Menschen, sondern nach der gütigen Art Gottes. Diese Bilder werden uns still und leise vor Augen stehen wie eine große Sehnsucht und Ermunterung, wie ein großes Leuchten. Diese Bilder werden uns locken und Mut machen. Und je länger sie uns vor Augen stehen, umso eindringlicher werden wir wissen: dort ist der Weg, dort ist das Leben, dort ist die Wahrheit, das ist der Weg zur wirklichen Gemeinschaft, es ist die richtige Aufgabe oder Lösung meiner Probleme, das muss ich tun. Es ist mehr als Ermunterung, es ist Einsicht in die Wahrheit. Es wird ein inneres Wissen sein, dass es der rechte Weg ist. Es wird ein inneres Gewissen sein. Nicht brutal und fordernd, denn Gott ist nicht brutal und fordernd. Sondern Er ist der Gütige, der uns etwas zeigt, und vor allem: Der uns etwas ermöglicht. Wenn wir diese Bilder vor Augen haben, werden wir auf einmal wissen: Das soll ich tun, das werde ich tun. Wir werden es so sagen, nicht weil wir uns eigenmächtig etwas vorgenommen haben, sondern weil wir den Weg gesehen und erkannt haben. Diese Bilder, die uns vor Augen stehen, zeigen uns ein Stück von der absoluten, unendlichen Gegenwart Gottes. Gott selber hat uns heimgesucht, innerlich gekräftigt, ermuntert, erfüllt.
Die Zwiesprache
Wir können gleichsam unser Leben, unsere Sorgen, Nöte, Ängste vor Gott ausbreiten, sie mit Ihm besprechen. Was willst Du Herr, dass ich tue, in dieser oder jener Situation? Wie kann ich meiner Familie, meinen Freunden am besten helfen, am wenigsten weh tun? Und wenn wir dies alles vor Gott erwägen, wird Er uns auch Antwort geben auf unser Bitten und unser Fragen. Wir werden von einem solchen Gebet aufstehen in einer neuen Hoffnung, neuen Einsichten, einer neuen Zuversicht, einer neuen Kraft, einem neuen Gewissen, einem neuen Pflichtbewusstsein. Gott hat es gegeben. Wir wissen es und wir danken Ihm. Und wir bitten Ihn: "Herr, mach es möglich, hilf Du uns, denn aus eigenem vermögen wir es nicht."
Nicht nur die Aufgaben und Sorgen tragen wir in dieser Stunde der Stille und des Gebetes vor Gott hin, sondern auch unsere Freude, unser überschäumendes Inneres. Denn auch da werden wir dann wissen, Herr, woher kommt dieses Glück, diese überschäumende Freude mit meinen Kindern, mit meinem Beruf, mit meiner Frau, mit meinem Mann? Nicht aus mir kommt all das, Du hast es gegeben, denn nur von Dir kommt alle Liebe und Stärke, nicht wir können es erzwingen, nicht wir können es bewahren, nicht wir können es machen. Du allein kannst es geben. Du hast es heute gegeben. Nur wenn Du es morgen gibst, wird es auch morgen wieder so sein. Gib es, Herr, auch morgen, denn in Deiner Hand allein liegt es. - So werden wir dann beten. Unser Beten wird in dieser Stunde der Stille ein großes Danken werden Tag für Tag.
Wie alle Probleme meistern?
Am ärgsten bedrängt uns in dieser Zeit der Stille und des Gebetes auch unsere eigene Not, das Leid, die Angst, die Schuld, die Einsamkeit. Wir werden uns dann vor Gott fragen: Wie sollen wir mit dem Streit fertig werden, wie sollen wir mit unserer Verzweiflung fertig werden, wie mit der inneren Bitterkeit, wie mit unserer Angst, wie mit den Scherben fertig werden, die wir selber geschlagen haben? Wie sollen wir mit unserem Chef fertig werden, mit unserer Frau, mit unseren Kindern? Wie sollen wir fertig werden mit den täglichen Reibereien, mit unserer Erschöpfung, mit unserer inneren Not, mit der qualvollen Einsamkeit und Vereinzelung unseres Lebens? In dieser Stunde des Gebetes und der Stille wollen wir diese Not nicht verdrängen, sondern zu bewältigen suchen: Mein Gott, hilf mir, dass ich fertig werde mit dieser Not, zeig mir den Weg, zeig mir Deinen Weg! Wenn wir so zu Gott reden, dann ist das in Wirklichkeit jenes Hungern und Dürsten nach der Gerechtigkeit, von der Jesus Christus gesprochen hat. Es ist unser Hungern und Dürsten nach dem rechten Weg, nach dem rechten Leben, nach dem rechten Tun, nach der rechten Liebe, nach der rechten Wahrheit unseres eigenen Lebens. Wir suchen den unendlichen Gott dann in unserem eigenen Leben. Denn unser eigenes Leben will ja lieben, will ja sinnvoll werden, froh werden, gereinigt werden von der Schuld, ganz frei werden von der Angst, will zur totalen Gemeinschaft mit Gott gelangen. Wenn wir nach diesem totalen, rechten Leben suchen, suchen wir in Wirklichkeit nach dem totalen Leben Gottes, nach der totalen Liebe, und damit nach Gott. Denn Gott ist die Liebe.
Unsere ganze Not vor Gott
In dieser Zeit der Stille und des Gebetes wollen wir unsere ganze Not vor Gott hintragen, das geheime Unbehagen mit unserer eigenen Lebensführung. Manchmal werden uns die Worte dazu fehlen, weil wir nicht imstande sind zu reden. Die Not verschließt uns den Mund. Aber dann, so sagt die Heilige Schrift, weiß Gott selbst um unser innerstes Sehnen und unsere innersten Nöte. "Der Geist Gottes tritt für uns ein mit unaussprechbaren Seufzern", so sagt die Heilige Schrift. Gott, der das Innerste der Herzen kennt, weiß, worum wir beten, auch wenn uns die Bitterkeit und Not des Augenblicks den Mund verschließt und das ausdrückliche Gebet nicht ermöglicht. Wenn wir nur dasitzen vor Gott und warten, bis der Alptraum von uns weicht und das Herz wieder reden kann, hat Gott uns schon gehört, bevor wir die Worte noch formulieren konnten. Er ist in uns und bei uns, ehe wir Ihn bewusst suchen können und unsere Herzen zu Ihm erheben können.
So einfach ist dieses Gebet, so einfach ist diese Zeit der Stille und des Suchens. Denn Tag für Tag steht uns eine neue Aufgabe, Sorge und Freude vor Augen. Und deswegen können wir unser Leben Tag für Tag neu vor Gott ausbreiten und Ihn bitten: "Herr hilf, segne uns, denn aus eigenem vermag ich es nicht."
Selbstfindung
Brüder und Schwestern, nehmen wir uns die Zeit, haben wir doch den Mut, in dieser täglichen Stille des Gebetes unser eigenes Leben anzuschauen. Wagen wir es doch, unserer eigenen inneren Nöte bewusst zu werden. Auch wenn das scheinbar gar nichts mit Gott zu tun hat und scheinbar auch gar nicht Gebet ist, wird es in Wirklichkeit Suche nach Gott sein. Wenn wir still werden und einen Überblick über unser eigenes Leben gewinnen wollen und nach dem rechten Weg trachten, das ist schon die erste Suche nach Gott. Meine lieben Freunde, Sie werden es beglückend erfahren, wie befreiend das ist, wenn Sie in dieser Zeit der Stille zu sich kommen und allmählich vom Lärm und Trubel des Alltags frei werden und es innerlich ruhig wird. Sie werden es so dankbar empfinden, dass Ihnen Ihr eigenes Inneres bewusst wird, Sie werden eine Vertiefung des Lebens empfinden, eine Verinnerlichung und allmählich eine gewisse Gegenwart Gottes. In diesem Frieden, den Sie verspüren, werden Sie schon etwas vom Frieden Gottes merken. Und Er ist tatsächlich damit zu Ihnen gekommen, in diesen zwei Minuten, fünf Minuten, zehn Minuten, in dieser Zeit des Ruhigwerdens und Bewusstwerdens.
Sie werden es so dankbar empfinden, dass Sie auf diese Art und Weise viel bewusster leben können, weil Sie sich Ihres Innersten bewusst werden, Ihrer Sehnsüchte und Ängste, Ihrer Aufgaben, Ihrer inneren Nöte, Begierden und Sünden. Sie werden es als reinigend empfinden und hilfreich. So wird aus Ihrem gehetzten Leben ein viel mehr bewusstes Leben werden, ein Leben, das Sie viel mehr verantworten können, weil Sie nun wissen, was Sie tun, und wissen, was in Ihrem eigenen Inneren vor sich geht. Sie werden dann sagen können: "Es ist jetzt wirklich mein eigenes Leben, ich werde jetzt nicht mehr mitgerissen und fortgeschwemmt vom Strudel des Lebens, sondern bekomme mein Leben allmählich in die Hand, in die eigene Verantwortung, ins vollere Bewusstsein." So wird viel mehr Wahrheit und Klarheit in Ihrem Leben sein, viel mehr Licht.
Tägliche Weihnacht
Diese tägliche Stunde der Stille und des Gebetes wird in Wirklichkeit zu Ihrer täglichen Weihnacht werden: Da wird es Licht in der Dunkelheit unseres bedrängten Lebens, da ereignet sich Gott in unserem Leben. Diese tägliche Zeit der Stille und des Gebetes ist unser Advent, unsere tägliche Suche nach dem unermesslichen Gott, den wir brauchen und ersehnen. In dieser Zeit der Stille und des Suchens und Betens wird Gott immer wieder in unser Leben eintreten, unbemerkt, wie von selbst, beglückend und befriedigend, so wie die Liebe. Sie lässt sich nicht zwingen, sie kommt über den Menschen wann sie will, wie sie will, in welchem Maße und wo sie will. Gott wird über uns kommen wie ein Friede, wie eine tiefe Freude, wie eine große Hoffnung, wie eine neue Kraft. Wir können nicht sagen, hier ist Er oder dort ist Er in unserem Leben, aber Er hat uns erfüllt, so wie die Liebe. Und Er gestaltet uns um, so wie die Liebe. Und er gibt uns jene unwahrscheinlichen Kräfte, die aus jeder wirklichen Liebe erwachsen.
Liebe Freunde, diese Weihnacht wünsche ich Ihnen allen, diese tägliche Weihnacht. Aber wir wissen wohl: Ohne Advent gibt es keine Weihnacht. Ich wünsche Ihnen, dass Sie den Mut und die Tapferkeit haben, die tägliche Zeit der Stille und der Suche nach Gott zu beginnen. Gott wird es segnen.