Mariazeller Matinée 2001: Das Licht vertreibt die Dunkelheit
Vor dem großen Freundeskreis, der um den 4. Adventsonntag in diesem Haus gewachsen ist, mit dem Blick auf Mariazell und Weihnachten, haben wir heute die 4. Kerze auf unserem Adventkranz entzündet. Auch in unserer Zeit des elektrischen Lichtes erregt der warme Schein einer Kerze immer noch Aufmerksamkeit. Wir spüren, dass es etwas Besonderes ist um das Licht. Denn das Licht vertreibt die Dunkelheit. Vielen von uns, nicht nur Kindern, ist es schon einmal passiert: Man geht in einem dunklen Wald und fühlt sich unbehaglich und verängstigt. Und wenn dann in der Ferne ein Licht auftaucht, aus dem Fester einer kleinen Hütte, dann verflüchtigt sich die Angst.
Das Licht vertreibt die Dunkelheit
Das Licht vertreibt die Dunkelheit. In der Bibel ist das Kommen Jesu immer mit Licht und Helligkeit verbunden. Dieses Bild der Bibel ist sehr treffend gewählt. Es ist eine Einladung, die Augen zu öffnen und ihm voll Zuversicht zu folgen.
Und wenn wir etwa - auch heuer wieder - das Buch des Propheten Jesaias aufschlagen, des wohl größten Propheten des Alten Bundes, der im 8. vorchristlichen Jahrhundert lebte, dann begegnen wir wieder dem Licht; ich wiederhole einen Satz aus seiner großen Vision des kommenden Messias: "Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf..."
So sollte die Zeit des Advents, die Zeit der Vorbereitung auf die Geburt Christi, für uns eine Zeit der Besinnung sein, eine Zeit des Nachdenkens, um jenes wahre Licht, das in der Dunkelheit leuchtet, zu unterscheiden von den Irrlichtern unserer Zeit.
Wenn in diesen Wochen die Dunkelheit den Tag früher beendet, schätzen wir das Licht und die Geborgenheit im Kreise der Familie und Freunde. Denn die Dunkelheit um uns verstärkt das Licht in der Gemeinschaft, erneuert Hoffnung und Zuversicht, stärkt die gegenseitige Hilfsbereitschaft; dabei wollen wir aber nicht in egoistischer Weise nur an uns selbst denken, sondern wollen mithelfen, das Licht weiterzugeben an jene, die sich außerhalb jeder Gemeinschaft befinden.
Dabei brauchen wir uns nicht fürchten, das Licht zu verlieren, denn das Licht wird immer stärker durch die Weitergabe. Dieses Licht vertreibt Missgunst, Hass und Neid. Dieses Licht, als Hinweis auf die Botschaft Christi, ist stärker als alles Böse in dieser Welt - "das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt ... es leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst".
Bereits mit dem ersten Adventsonntag hat die Kirche, das kirchliche Brauchtum, auch in unseren Herzen und Wohnungen ein Licht angezündet, das uns mit Zuversicht und Freude erfüllen soll; dieses Licht wuchs mit jedem Adventsonntag. Und damit soll auch die Freude, die Zuversicht und die Hoffnung wachsen.
In unserer friedlosen Welt, - wir haben es in den letzten Monaten wieder hautnah erlebt, wie sehr die dunklen Wegstrecken uns bedrücken und ängstigen, - in unserer friedlosen Welt brauchen wir mehr denn je das Licht als Zeichen der Hoffnung, wider alles Bedrückende und Dunkle.
Was bedeutet heute für uns das Wort "Hoffnung"?
Was bedeutet heute für uns das Wort "Hoffnung"? In unserer christlichen Welt zählt die Hoffnung, gemeinsam mit Glaube und Liebe, zu den drei göttlichen Tugenden, dem Wurzelgrund des christlichen Lebens. Wenn Glaube und Liebe fast entschwinden, entdecken wir wieder die Hoffnung, die uns Mut und Zuversicht zurückbringt.
Denn: Hoffen ist etwas Urmenschliches. Kein Mensch kann ohne Hoffnung leben. Die Hoffnung ist verschieden vom bloßen Optimismus, der meint, dass sich die Dinge schon irgendwie einrichten werden. Die Hoffnung reicht tiefer und weiter. Sie ist eine auf die Zukunft ausgerichtete Erwartung - und das bedeutet, dass Ungleichheit und Ungerechtigkeit in der Welt, das Leid und das Böse nicht das letzte Wort haben, nicht die letzte Wirklichkeit sind.
In der christlichen Literatur der letzten Generationen trat die Hoffnung - neben Glaube und Liebe - in den Hintergrund. Zwei Namen des 20. Jahrhunderts haben die Bedeutung der Hoffnung wieder in den Vordergrund des theologischen Denkens gerückt. Es war der aus dem marxistischen Denken kommende Ernst Bloch, der in den 50er Jahren sein großes Werk "Prinzip Hoffnung" veröffentlichte; und bereits zu Beginn des letzten Jahrhunderts widmete der im Ersten Weltkrieg gefallene französische Journalist und Dichter Charles Péguy dem "Mysterium der Hoffnung" einen eigenen Gedichtband. In einem 1911 entstandenen Text mit dem Titel "Das Tor zum Geheimnis der Hoffnung" versuchte er zu zeigen, dass die Hoffnung als zweite göttliche Tugend ihren letzten Sitz im Herzen Gottes selbst hat.
In dichterischer Freiheit stellt uns Péguy die drei göttlichen Tugenden als drei Schwestern vor: Glaube und Liebe, die beiden großen Schwestern, schreiten gemeinsam einher auf dem Pfad des Heils, man kennt und achtet sie; zwischen ihnen aber trippelt die kleine Hoffnung, wörtlich "verloren zwischen den Rockschößen ihrer Schwestern". Das christliche Volk, so Péguy, sieht nur die beiden älteren Frauen Glaube und Liebe, "in einem gewissen Alter, schon recht hergenommen vom Leben". Aber die Kleine ist es, die alles mit sich reißt, weil - so Péguy, sie "sieht, was sein wird", während der Glaube "nur sieht, was ist"; weil sie, die Kleine, "liebt, was sein wird", während die Liebe "nur liebt, was ist".
Und daher lässt Péguy Gott sagen: "Der Glaube wundert mich nicht. Ich strahle so sehr aus allen Poren der Schöpfung ... so offen strahle ich hervor in meinen Geschöpfen ... dass, um mich nicht zu sehen, diese armen Leute wirklich mit Blindheit geschlagen sein müssten". --- Und "die Liebe, sagt Gott, das wundert mich nicht. ... Mein Sohn hat ihnen so viel Liebe erwiesen. Mein Sohn, ihr Bruder." --- "Aber die Hoffnung, sagt Gott, das verwundert mich wirklich. Mich selber. Das ist wirklich erstaunlich. Dass diese armen Kinder sehen, wie das alles zugeht, und dass sie glauben, morgen gehe es besser. Das ist verwunderlich und das ist entschieden das größte Wunder unserer Gnade." Denn: "Hoffen zu können, ist schwer." Weil "die Hoffnung sieht, was noch nicht ist und was sein wird. Sie liebt, was nicht ist und was sein wird. In der Zukunft der Zeit und der Ewigkeit."
Die christliche Hoffnung ist nicht getragen von einer Ideologie, mit der Sorge, eines Tages zusammenzubrechen, so wie der Kommunismus vor 12 Jahren. Die christliche Hoffnung rechnet mit Gott, der dem Menschen aus der Zukunft entgegenkommt. Diese Zuversicht, mit der Hoffnung als religiöser Wurzel, trägt den fragenden und suchenden Menschen auch in unserer Zeit. Im ersten Petrusbrief des neuen Testamentes wird auf die Bedeutung der Hoffnung in einem areligiösen Umfeld hingewiesen. Petrus schreibt seinen Gemeinden in Kleinasien: "Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der euch nach dem Grund eurer Hoffnung fragt, die euch erfüllt; aber antwortet bescheiden."
Die Hoffnung sieht, was noch nicht ist. Sie lebt aus der Möglichkeit des ganz anderen heraus. Christliche Hoffnung rechnet mit Gott, der den Menschen aus der Zukunft entgegenkommt. Christen sind daher nicht Pessimisten, sondern Optimisten, in ihrer menschlichen Grundhaltung. Denn ihre Hoffnung wurzelt im uralten Gottesbild der Menschen, wie es Jesaias im 8. vorchristlichen Jahrhundert beschreibt - hier sein Text: "Wer misst das Meer mit der hohlen Hand? Wer kann mit der ausgespannten Hand den Himmel vermessen? Wer misst den Staub der Erde mit einem Scheffel? ... Wer bestimmt den Geist des Herrn? Wer kann sein Berater sein und ihn unterrichten? Wen fragt er um Rat und wer vermittelt ihm Einsicht? ...Seht, die Völker sind wie ein Tropfen am Eimer, sie gelten so viel wie ein Stäubchen auf der Waage. ... Mit wem wollt ihr Gott vergleichen und welches Bild an seine Stelle setzen?" Soweit der Prophet.
Diesem Gott begegnen wir in der Krippe von Weihnachten, in seiner Armut und Not, um uns ganz nahe, um unser Bruder zu sein. Das ist die Botschaft von Weihnachten.
Damit wünsche ich Ihnen eine friedliche und gesegnete Weihnacht!