Mariazeller Matinée 2002: 50 Jahre Mariazeller Manifest
Auch dieses Jahr sind wir wieder versammelt als großer Freundeskreis der Basilika von Mariazell, um, zwei Tage vor dem Heiligen Abend, ein wenig Einkehr zu halten. Denn wenn ich in diesen Tagen über die Ringstraße fahre und die Fülle der weihnachtlichen Reklamen als festlichen Markt sehe, dann steigt die Sorge in mir auf, ob die echten Wurzeln des Weihnachtsfestes, - die religiöse, mit dem Hinweis auf den biblischen Bericht, sowie das schöne Brauchtum, das darum gewachsen ist, - ob diese beiden echten Wurzeln nicht zunehmend überlagert werden von wirtschaftlichen Interessen: der Advent wird zur Hauptgeschäftszeit. Das ist aber nicht einfach Sache des Wohlstandes in unserem westlichen Europa, sondern die Ursache liegt im Menschen selbst, in seinem Herzen und in seinem Verstand.
Viele in unserem Lande wissen heute kaum mehr, dass die Botschaft von Weihnachten mit der Krippe zu Bethlehem zusammenhängt, wo sich vor 2000 Jahren Geschichte Himmel und Erde berührten.
Dazu schlage ich die liturgischen Texte der dritten Adventwoche auf, wo solche Gedanken aufgegriffen und gedeutet werden: "Ich schlage mein Zelt auf in eurer Mitte und habe vor euch keine Scheu. Ich lebe unter euch, ich bin euer Gott und ihr seid mein Volk." Und dann heißt es weiter: "Selig bist du, weil du geglaubt hast; denn was dir vom Herrn gesagt wurde, wird in Erfüllung gehen. Maria sprach: "Meine Seele preist die Größe des Herrn!" Und ich füge hinzu: damit wurde Maria als Frau der Beginn der Heils- und Glaubensgeschichte.
Ein kurzer Rückblick in die Geschichte von Mariazell
Dies sei uns heute ein Anlass zu einem kurzen Rückblick, wozu uns die Geschichte von Mariazell einlädt. Wir haben in den vergangenen Monaten des Öfteren der Erklärung des sogenannten Mariazeller Manifestes vor 50 Jahren gedacht. Der Text dieses Manifestes wurde in unserem Lande oft zitiert als Leitwort von der "freien Kirche in einer freien Gesellschaft". Das war eine sehr verständliche Wiedergabe eines Anliegens der katholischen oder auch ökumenischen Gemeinschaft der Christen in unserem Lande - sieben Jahre nach dem Weltkrieg, der Europa zerstört hatte. Die österreichischen Staatsbürger und Christen suchten damals einen neuen Weg miteinander in der staatlichen Gemeinschaft - nach all den geschichtlichen Irrtümern und Irrwegen. Das Fazit der europäischen wie auch der österreichischen Geschichte sagt uns: es geht im Falle von Staat und Kirche weder um eine Überordnung des einen über den anderen, noch um eine Unterordnung des einen unter den anderen, - sondern um ein geordnetes Nebeneinander, nicht ein hartes Gegeneinander der beiden Partner. So gesehen, ist das Mariazeller Manifest ein geschichtliches Dokument, an dessen Formulierung, ich möchte das nicht unerwähnt lassen, Dr. Barta, damals Chefredakteur der Kathpress, entscheidend mitgewirkt hat.
"So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört und Gott, was Gott gehört."
Ich schlage die Heilige Schrift auf, wo wir bei Markus 12,17 lesen, aus Anlass eines Streites, ob man auch in der Provinz, weit entfernt von Rom, dem Kaiser Steuern zahlen solle. Jesus von Nazareth antwortete: "So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört und Gott, was Gott gehört".
In der so gesehenen europäischen Geschichte, - von der Gewaltenteilung des Mittelalters bis zum Konfessionsstaat der nachreformatorischen Zeit, - gab es ein leidvolles Auf und Ab. - Dies veranlasste das Zweite Vatikanische Konzil, seine Position neu zu fassen, wörtlich: "Die politische Gemeinschaft und die Kirche sind auf je ihrem Gebiet voneinander unabhängig und autonom. (Gaudium et Spes, 76) - Das heißt, die Kirche hat einem unabhängigen und autonomen Staat keine Vorschriften zu machen. Wohl aber ist es Aufgabe der einzelnen Christen, aber auch korporativ, im Staate loyal aktiv mitzuarbeiten, ohne sich deswegen auf einen offiziellen Auftrag der Kirche zu berufen; sie arbeiten mit am Aufbau eines demokratischen Gemeinwesens aufgrund ihres christlichen Welt- und Menschenbildes, angesichts steigender Herausforderungen einer pluralen Gesellschaft. Dazu bedarf es einer großen Flexibilität und Dialogbereitschaft, wie sie nur Einzelne, in einem, christlichen Welt- und Menschenbild verankert, leisten können.
Ich nenne zwei aktuelle Herausforderungen: die Krise des Lebens angesichts technischer Machbarkeiten und die Krise der Solidarität angesichts wachsender Globalisierung. Solche Herausforderungen können nicht von oben reglementiert werde, sondern durch das wachsende Bewusstsein einer persönlichen Verantwortung des Einzelnen. So gesehen, brachte das Mariazeller Manifest bereits eine erste grundlegende Orientierung, die der Fortsetzung und Ergänzung bedarf.
Den Blick auf Bethlehem und die Krippe
Wenn wir in diesen Tagen das vertraute alte Adventlied "Tauet Himmel, den Gerechten" hören, so schlage ich dazu den ursprünglichen Text des Adventpropheten auf (Jes 45,8), wo es heißt: "Tauet, ihr Himmel von oben, ihr Wolken lasst Gerechtigkeit regnen. Die Erde tue sich auf und bringe das Heil hervor, sie lasse Gerechtigkeit sprießen. Ich, der Herr will es vollbringen."
Das Mariazeller Manifest vor 50 Jahren war getragen von Vertrauen auf den Herrn, in enger Verbindung mit menschlicher Planung und Tatkraft. Eine solche Verbindung von menschlicher Kraft von unten und göttlichem Beistand von oben wünsche ich Ihnen am Beginn der festlichen Tage, - mit dem Blick auf Bethlehem und die Krippe, die die Welt verändert hat.